Reporter-Legende Erich Gysling über den Hamburger Gipfel
Musste das sein?

Aufwand und Ertrag des G20-Gipfels stehen in krassem Missverhältnis. Warum es die Treffen dennoch braucht.
Publiziert: 09.07.2017 um 10:42 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:06 Uhr
Emmanuel Macron, Wladimir Putin und Angela Merkel (v.l.) beim G-20-Gipfel am Samstag.
Foto: imago/ZUMA Press
Erich Gysling

Die Scherben sind (fast) zusammengewischt, aus den von Terror-Demonstranten verwüsteten Läden werden die letzten verkohlten Geräte abtransportiert, und allmählich schleppt man auch die verkohlten Gerippe abgefackelter Autos von unbeteiligten und unschuldigen Hamburgern und Hamburgerinnen ab. Wer Schaden erlitt, kann nur hoffen, dass Angela Merkels Versprechen, der Staat werde sich grosszügig erweisen, nicht durch die Bürokratie zunichte gemacht werden.

Aber hat dieser Gipfel nicht schon genug gekostet? Budgetiert waren 130 Millionen Euro, doch diese Rechnung beruhte auf der halbwegs noch «normalen» Erwartung, man könne mit rund 20'000 Polizisten die Lage unter Kontrolle halten. Es kam bekanntlich anders.

Krasses Missverhältnis

Hätte man es besser wissen können? Eigentlich ja. 2001 gab es in Genua am Rande des G8-Gipfels Ausschreitungen, die sogar ein Todesopfer forderten. Und davor konnte ein Treffen der Welthandelsorganisation WTO in Seattle wegen Auseinandersetzungen mit Globalisierungsfeinden gar nicht stattfinden. Einfacher als jetzt in Hamburg war es letztes Mal, beim G20 im chinesischen Hangzhou – dort wurde die lokale Bevölkerung schlicht und einfach (oder schlicht und brutal) für die Zeit des Treffens «evakuiert». Doch in unseren westlichen Demokratien, in Millionenstädten, scheint ein Globalisierungs-Gipfel nicht mehr machbar zu sein. Aufwand und Ertrag stehen da in krassem Missverhältnis.

Erfahrungen in Genua oder jetzt in Hamburg hin oder her: die Maestros und Maestras der Welt wollen sich nächstes Jahr in ähnlichem Rahmen wieder sehen, irgendwo in Argentinien. Hoffen wir für sie und für uns, die indirekt (entsetzt) Beteiligten, dass sie sich nicht eine Konferenzzone mitten im quirligen Buenos Aires aussuchen werden…

Wieso nicht über Skype verbinden?

Nun kann man sich ja auch ganz allgemein die Frage stellen, ob solche Monster-Konferenzen überhaupt notwendig sind. Könnten sich Putin, Trump, Erdogan, Merkel, Macron etc nicht mal über Skype miteinander verbinden, müssen sie alle unbedingt physisch zusammen kommen? Da kann man aus der zwiespältigen Hamburger Erfahrung lernen: Ja, die direkte Begegnung muss sein, die kann kein Skype ersetzen. Das Resultat des Treffens zwischen Trump und Putin mag bescheiden wirken (Bemühen um eine neutrale Zone in Syrien), aber wichtiger ist, dass die beiden unberechenbaren Alpha-Raubtiere nach zweistündigem Gespräch doch besser wissen als vorher, wie sie miteinander umgehen – und allenfalls kapitale Fehler vermeiden –  können. Oder: Der junge französische Präsident zeigte Trump beim Handschlag auf souveräne Art den Meister. Mit Macron, das weiss jetzt der «Trumpeter von Washington», ist nicht leicht Kirschen essen.

Misst man anderseits Aufwand und Ertrag dieses Gipfels, fällt die Bilanz ernüchternd aus. Uneinigkeit beim Klimaschutz (aber jetzt weiss man immerhin: der Match steht 19:1, Trump gegen Alle), WischiWaschi beim Welthandel (Trump kann immer noch nach freiem Belieben sein «America first» durchziehen). Anderseits etwas konkrete Hilfe für Afrika, auch eine Stiftung für die Förderung von Frauen,  und ein paar nette Bekenntnisse zugunsten des gemeinsamen Kampfs gegen Terrorismus.

Ein schwacher Trost

Nicht hinwegreden lässt sich anderseits, dass diese G20-Gruppe eine willkürlich zusammengestellte «Welt-Präsidentschaft» ist. Gewiss, da werden zwei Drittel der Weltbevölkerung vertreten und noch etwas mehr in Prozenten der globalen Wirtschaft. Aber weshalb wird Afrika (um ein Beispiel zu nennen) durch das kriselnde Südafrika des korrupten Präsidenten Zuma vertreten und nicht durch Nigeria, das Südafrika als Wirtschaftsmacht auf dem  Kontinent überholt hat? Warum ist die Schweiz draussen, obgleich sie eines der weltweit wichtigsten Finanz-Zentren ist? Man kann argumentieren: Finanz-Zentrum ist nicht gleich zu setzen mit wirtschaftlicher Bedeutung. Dem könnte man entgegen halten, dass die globale Wirtschaft immer mehr durch die Finanzmächte gelenkt wird. Und man könnte auch feststellen: Wer zur G20 gehört und wer nicht, das wurde nirgendwo auf eine irgendwie demokratisch erklärbare Weise festgelegt. Das «Tröstliche» bei dieser Argumentation wäre dann allenfalls, dass die Beschlüsse des G20-Gipfels nicht bindend sind. Es ist, man muss es nüchtern konstatieren, ein schwacher Trost.

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