Matteo Salvini hat sich verzockt. So lauten die einhelligen Meinungen der italienischen Zeitungen. Aber ist es wirklich so einfach?
Der rechtsradikale Innenminister hat nach nur einem Jahr seine Regierung mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung platzen lassen. Die Koalition sei nicht arbeitsfähig, erklärte Salvini Mitte August. Seine Lega strebt ein Misstrauensvotum gegen den parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte an.
Was passiert nach Contes Rede?
Doch Salvinis geschasster Koalitionspartner und die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) machten dem Lega-Frontmann einen Strich durch die Rechnung. Erst verhinderten sie eine Debatte über den Misstrauensantrag – dann sondierten sie im Hintergrund.
Um 15 Uhr will Ministerpräsident Giuseppe Conte heute eine Rede im Senat halten. Erwartet wird eine knallharte Abrechnung mit Salvini, dessen riskanter Kurs auch längst nicht von allen Parteikollegen mitgetragen wird. BLICK analysiert die drei möglichen Szenarien:
1. Misstrauensantrag gegen Giuseppe Conte
Die Lega fordert ein Misstrauensvotum gegen den parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte. Salvinis Kalkül: Neuwahlen, aus denen seine Lega gestärkt hervorgehen dürfte. Umfragen deuten daraufhin, dass sowohl die Fünf-Sterne-Bewegung als auch die Sozialdemokraten bei Neuwahlen für lange Zeit in die Opposition verbannt werden.
Noch steht der Antrag auf ein Misstrauensvotum allerdings nicht auf der Tagesordnung – und Salvinis Noch-Koalitionspartner steht hinter dem parteilosen Ministerpräsidenten: «Conte ist ein korrekter Premier, den wir weiter unterstützen wollen», so Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio.
2. Contes Rücktritt kostet Salvini Macht
Conte will sich von Salvini nicht herumschubsen lassen. Die italienischen Medien halten es darum für am wahrscheinlichsten, dass der Ministerpräsident einem Misstrauensvotum zuvorkommt: Conte will offenbar direkt nach seiner Rede zum Quirinalspalast fahren, um bei Staatspräsident Sergio Mattarella seinen Rücktritt einzureichen.
Mattarella hat Italiens Zukunft in der Hand: Der Staatspräsident allein kann das Parlament auflösen und eine Neuwahl anordnen. Er kann aber auch den Auftrag erteilen, ohne Neuwahl eine neue Mehrheit zu suchen und eine Regierung zu bilden.
Mattarella könnte Conte darum umgehend mit der Führung einer Übergangsregierung beauftragen – was den Sozialdemokraten und der Fünf-Sterne-Bewegung Zeit für Koalitionsverhandlungen verschafft. Schaffen sie es, ihre Differenzen zu überwinden, könnte Italien eine Mitte-Links-Koalition bekommen. Und Salvini einen Platz auf der Hinterbank.
3. Salvini erpresst die Fünf-Sterne-Bewegung
Die italienische Regierung ist am Ende. Doch: Salvini hat Angst vor dem Machtverlust. Lieber rudert er zurück, als eine Mitte-Links-Koalition zu riskieren. Dass ihm sein Noch-Koalitionspartner bedingungslos vertraut, ist allerdings unwahrscheinlich. Schliesslich hat Salvini das Bündnis platzen lassen.
Doch der Lega-Frontmann hat noch einen Pfand in der Hinterhand: Am Donnerstag steht die letzte Abstimmung über eine Verfassungsänderung an, mit der die Zahl der Abgeordneten in beiden Kammern drastisch verringert werden soll – die Parlamentsreform ist gewissermassen das «Baby» der Fünf-Sterne-Bewegung.
Sollte Conte zurücktreten, wäre die Abstimmung hinfällig. Salvini hat nun Lega-Stimmen für die Verfassungsänderung signalisiert – und stellt die Fünf-Sterne-Bewegung damit vor ein Dilemma: Wollen sie unter dem launischen Lega-Frontmann weitermachen – oder ihr Herzensprojekt opfern?