Berater von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
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Rainer Münz:Berater von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker

Rainer Münz berät die EU-Kommission in Migrationsfragen
«Die Schweiz muss irgendwann ausserhalb der EU Arbeitskräfte suchen»

Der Basler Rainer Münz berät die EU-Kommission in Migrationsfragen. Im Interview mit BLICK verrät er, wie wichtig Google für die Überwachung der Flüchtlinge geworden ist.
Publiziert: 01.04.2019 um 08:09 Uhr
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2015 kamen Hunderttausende Migranten nach Europa, durch den Türkei-Deal wurde der Zustrom gestoppt.
Foto: AFP
Interview: Guido Felder

Der Basler Rainer Münz (64) gilt als grosser Migrationsexperte. Die EU-Kommission hat ihn als Berater beigezogen. BLICK traf ihn in Zürich zum Interview, in dem er verrät, welche Lehren die EU seit der unkontrollierten Masseneinwanderung von 2015 gezogen hat, welche Migration Europa in Zukunft braucht und wie wichtig Google für die Überwachung der Flüchtlinge geworden ist. 

Herr Münz, kann es wieder zu einer «Masseneinwanderung» wie 2015 kommen?
Rainer Münz:
Es wandern normalerweise jedes Jahr an die zwei Millionen Menschen von ausserhalb der EU in einen der 28 EU-Staaten ein. 2015 und 2016 waren es durch den Zuzug vieler Asylsuchender jeweils etwa drei Millionen. «Masseneinwanderung» gibt es also jedes Jahr.

Speziell war, dass 2015 sehr viele Menschen unkontrolliert zugewandert sind. Könnte so was wieder passieren? 
Ausschliessen kann man es nie. Wir sind aber besser vorbereitet, weil das Registrierungssystem und der Austausch der Schengen-Mitgliedstaaten inzwischen besser funktionieren. Bei der Verteilung der Lasten haben wir allerdings keine Fortschritte gemacht. 

Wie erkennt man rechtzeitig, wann sich ein Flüchtlingsstrom auf den Weg nach Europa macht? Gibt es inzwischen Warnsysteme?
Wichtige Hinweise liefern die Erfassung und die Befragung von Asylsuchenden. Wir beobachten zudem Krisenherde und wissen so zum Beispiel um die katastrophale humanitäre Situation im Jemen und in Syrien. Indizien liefert aber auch die Auswertung von Suchmaschinen wie Google und von sozialen Medien. 

Was verraten Ihnen diese Auswertungen? 
Sie geben Hinweise auf Trends und Aktivitäten. Google Analytics belegt, dass Mitte 2015 der Suchbegriff «Griechenland» in arabischer Schrift auf einmal viel häufiger eingegeben wurde. Kurze Zeit später kamen deutlich mehr syrische Flüchtlinge über die Ägäis. Angebote in sozialen Medien geben auch Hinweise auf Schmuggler, die Fahrten übers Mittelmeer oder Begleitung durch den Balkan anbieten.

Rainer Münz glaubt, dass Europa auf Zuwanderung angewiesen ist.
Foto: Philippe Rossier

Wer beobachtet diese Entwicklungen?
EU-Mitgliedstaaten, internationale Organisationen und die Europäische Kommission sammeln solche Informationen und Hinweise zu Flucht, Asyl und irregulärer Migration. Die Eurodac-Datenbank, ein europaweites Fingerabdruck-Identifizierungssystem, das Asylbewerber und irregulär eingereiste Personen erfasst, spielt dabei eine wichtige Rolle.

Wie wichtig ist Zuwanderung überhaupt für Europa? Wie viel Migration braucht es?
Ohne Zuwanderung würde die Einwohnerzahl in den 28 EU-Staaten bis zum Jahr 2050 um sage und schreibe rund 50 Millionen abnehmen, was für den Arbeitsmarkt weitreichende Konsequenzen hätte. Nun stellt sich die politische Frage: Will man diese demografische Lücke mit der Erhöhung des Rentenalters auffüllen, will man sie durch Zuwanderung schliessen oder will man – wie es Japan macht – Europa bewusst schrumpfen lassen?

Was empfehlen Sie Herrn Juncker?
Man muss über alle drei Möglichkeiten nachdenken. Ich selbst denke, dass es ganz ohne Zuwanderung nicht funktionieren wird.

Welche Art von Zuwanderung braucht es denn?
Wir sollten nach Leuten Ausschau halten, die sich gut in den europäischen Arbeitsmarkt integrieren können. Bei uns mangelt es unter anderem an Pflegepersonal, Ärzten und qualifizierten Handwerkern. Ebenfalls interessant sind Leute in schnell wachsenden Bereichen, in denen unsere Ausbildung hinterherhinkt. Vor einigen Jahren war das im IT-Bereich der Fall, heute ist es die Artificial Intelligence. 

Woher holt man solche Fachleute? 
Wir könnten Universitäten und andere Ausbildungsstätten unterstützen oder bauen – etwa in Afrika. Diese bilden dann Leute aus, die einerseits in ihrer Heimat etwas bewirken, die aber auch bei uns in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Es wäre eine Win-win-Situation.

Seit der massiven Zuwanderung von 2015 ist europaweit ein Rechtsrutsch feststellbar. Wie wird sich die Einstellung zur Migration in den kommenden Jahren entwickeln?
Jedes EU-Land kann eigenständig über Asyl und die Gewährung von Aufenthaltstiteln für Arbeitsmigranten entscheiden. Daher wird es verschiedene Modelle geben. Klar ist aber, dass die Abwehrhaltung generell grösser geworden ist. 

Wie kann Europa den Zustrom regeln – indem es wie Ungarn und Italien die Grenzen dichtmacht?
Die Zuwanderung übers Mittelmeer ist im vergangenen Jahr massiv zurückgegangen – nicht nur wegen der harten Haltung von einzelnen Staaten, sondern auch wegen des 2016 abgeschlossenen Deals der EU mit der Türkei. Er sorgt dafür, dass die Türkei 3,8 Millionen Flüchtlinge zurückhält. Auch die libysche Küstenwache, die Flüchtlinge auf dem Meer rettet und damit von Italien abhält, funktioniert inzwischen wieder. Wir müssen dabei jeweils mit unseren geografischen Nachbarn Deals abschliessen.

Kann man denn mit Staaten wie Libyen und Syrien überhaupt Deals abschliessen? 
Offensichtlich. Und zwar mit Akteuren unterhalb der gesamtstaatlichen Ebene.

Was ist die Gegenleistung der EU?
Sie hat zum Beispiel die libysche Küstenwache trainiert und ausgerüstet. Marokko wird unterstützt. Die Türkei erhält bis 2020 sechs Milliarden Euro. 

Wie wird sich in Ihren Augen die Zuwanderung in die Schweiz entwickeln?
Der Grossteil der Zuwanderung stammt derzeit im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens aus EU-Staaten. Das regelt nicht zuletzt der Arbeitsmarkt. Es wird noch eine Weile weitergehen, dass EU-Bürger in der Schweiz Arbeit suchen. Irgendwann wird aber der Moment kommen, wo der Unterschied im Lebensniveau zwischen der Schweiz und anderen EU-Staaten nicht mehr hoch genug ist und die Schweiz im aussereuropäischen Ausland aktiv Arbeitskräfte rekrutieren muss.

Junckers Schweizer Einflüsterer

Der Schweizer Rainer Münz (64) ist ein wichtiger, direkter Einflüsterer von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (64). Der aus Riehen BS stammende Bevölkerungswissenschaftler wirkt am Europäischen Zentrum für Politische Strategie der EU in Brüssel als Berater für Migration und Demografie. Früher war er unter anderem Mitglied der Kommission zur Reform der Zuwanderungspolitik der deutschen Regierung, Weisenrat der EU und Professor an diversen Universitäten. Bis 2015 leitete er die Forschungsabteilung der Ersten Bank in Wien. Münz ist verheiratet und zweifacher Vater. 

Der Schweizer Rainer Münz (64) ist ein wichtiger, direkter Einflüsterer von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (64). Der aus Riehen BS stammende Bevölkerungswissenschaftler wirkt am Europäischen Zentrum für Politische Strategie der EU in Brüssel als Berater für Migration und Demografie. Früher war er unter anderem Mitglied der Kommission zur Reform der Zuwanderungspolitik der deutschen Regierung, Weisenrat der EU und Professor an diversen Universitäten. Bis 2015 leitete er die Forschungsabteilung der Ersten Bank in Wien. Münz ist verheiratet und zweifacher Vater. 

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