«Es ist ein enorm starkes Zeichen gegen Putin»
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Blick-Experte Guido Felder:«Es ist ein enorm starkes Zeichen gegen Putin»

Putin wird es wurmen
Selenskis USA-Besuch ist eine pure Machtdemonstration

Nach zehn Monaten im Kriegsland verlässt Wolodimir Selenski heute zum ersten Mal die Ukraine. Die Reise in die USA bringt ihm neue Waffen und zementiert seinen Heldenstatus. Putin wird heftig reagieren. Eine Analyse.
Publiziert: 21.12.2022 um 11:10 Uhr
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Aktualisiert: 21.12.2022 um 14:52 Uhr
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Am Dienstag noch besuchte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski seine Kämpfer in der Frontstadt Bachmut.
Foto: AFP
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

«Ich brauche kein Taxi, ich brauche Munition», sagte Wolodimir Selenski (44) noch im Februar, als ihm die USA anboten, ihn aus der Ukraine auszufliegen und ins sichere Amerika zu bringen. Dass der ukrainische Präsident trotz seinem Eintrag auf Putins Todesliste und trotz den zunehmend unberechenbaren Raketen- und Drohnenangriffen bis jetzt in der Ukraine geblieben ist, hat viel zu seinem Heldenstatus beigetragen.

Jetzt aber, keine 24 Stunden nach seinem gefährlichen Besuch an der Kriegsfront in der ostukrainischen Donbass-Stadt Bachmut, sitzt Selenski im Flieger nach Washington D.C., wo er US-Präsident Joe Biden (80) treffen und vor dem amerikanischen Parlament sprechen wird.

Ende Woche schon werden die amerikanischen Abgeordneten über ein neues Hilfspaket für die Ukraine in der Höhe von fast 50 Milliarden Dollar abstimmen: ein überlebenswichtiger Zustupf von historischem Ausmass. Im Paket enthalten sind dem Vernehmen nach auch mehrere «Patriot»-Flugabwehrsysteme. Sie werden es der Ukraine erlauben, annähernd alle russischen Raketen- und Drohnenattacken abzuwehren. Kiews Wunsch nach einer Flugverbotszone über dem Land wird damit faktisch erfüllt.

Putin wird der Besuch zum Schäumen bringen

Selenski weiss, dass die Ukraine ohne anhaltende amerikanische Unterstützung keine Chance hat, diesen Krieg zu überstehen. Und er weiss um die symbolische Kraft seiner Reise. Nicht einmal die grössten Sparfüchse unter den Republikanern, die verschiedentlich angetönt hatten, dass sie die Ukraine-Hilfe zugunsten von Unterstützungsgeldern für Amerikaner zusammenstreichen wollen, dürften dem kriegerischen Charme des begnadeten Redners aus Kiew widerstehen können.

Doch nicht nur die Amerikaner wird die Reise des ukrainischen Präsidenten nach Übersee beeindrucken. Auch Wladimir Putin (70), der in Moskau wegen seiner schleppend verlaufenden «militärischen Spezialoperation» sowieso schon unter Druck steht, wird gebannt nach Washington blicken. Während sich der Kreml-Herrscher mit Besuchen bei seinem polternden Diktatoren-Freund Alexander Lukaschenko (68) im nasskalten Minsk begnügen muss, wird sein ukrainischer Counterpart vom mächtigsten Land der Welt hofiert und auf der berühmtesten Polit-Bühne des Landes mit allen Ehren empfangen.

Selenski liefert moralische Munition

Das wird Putin grausam wurmen. Und er wird mit seinen Racheakten nicht sparen. Die Ukraine muss sich auf neue tödliche Salven aus den russischen Raketenkellern einstellen. Moskau wird sich in seiner grossen Kriegslüge bestätigt sehen und laut herausposaunen: «Wir habens euch ja gesagt: Die ganze Welt ist gegen uns! Die Amerikaner greifen Russland an!»

Wolodimir Selenski aber wird sich auch davon nicht abschrecken lassen und mit einem neuen militärischen Hilfspaket aus den USA in die Ukraine zurückkehren. Die Rückkehr des Gejagten in seine Heimat dürfte Selenskis Heldenstatus selbst bei seinen wenigen Kritikern in der Ukraine ein für allemal zementieren.

Er, der sich nicht davor scheut, in der Hochphase des Krieges an die Front zu reisen; er, der trotz Übermüdung und Überlastung noch immer jeden Tag mit ruhiger Stimme zu seinem Volk spricht; er, der trotz offenen Türen im amerikanischen Exil den harten Alltag in der Ukraine durchsteht: Er liefert seinen Kämpfern in diesem alles entscheidenden anbrechenden Winter das, was sie zusätzlich zu den amerikanischen Flugabwehrsystemen so dringend brauchen: aufrichtige moralische Munition.

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