Viele Katalanen erwachten am Freitagmorgen mit gemischten Gefühlen. Am Donnerstagabend hat zwar eine Mehrheit bei den Neuwahlen für eine der drei Parteien gestimmt, die für eine Unabhängigkeit von Spanien eintreten. Doch auch nach dem Plebiszit besteht eine allgemeine Ratlosigkeit darüber, wie es mit der Region weitergehen soll.
Was sagen die Katalanen?
Maria Jose Solanellas (58), betreibt einen kleinen Schmuckstand im Weihnachtsmarkt vor der alten Kathedrale von Barcelona. Das Wahlresultat von gestern bereitet ihr keine Sorgen. «Alle 50 Jahre begehren die Katalanen auf, fordern die Unabhängigkeit. Auch ich habe für die Independisten gestimmt», sagt sie.
Doch auf die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen reagiere die Zentralregierung in Madrid immer mit Repression, ganz gleich, ob ein absolutistischer König, eine faschistische Regierung oder eine bürgerliche Regierung an der Macht sei. Die 58-Jährige ist sich sicher: «Ein unabhängiges Katalonien werden sie nie akzeptieren.»
Juan Jose (62) hat seine Stimme ebenfalls den Independisten gegeben. Für ihn ist klar, dass der Ex-Regierungschef Carles Puigdemont nun aus dem Exil in Brüssel zurückkehren muss. Auch falls die Zentralregierung in Madrid auf stur schalte: «Wir haben Zeit und Geduld – wir können diese politische Krise einfach aussitzen. Wenn Madrid das möchte, kann dieses Spiel noch Jahre weitergehen», sagt Jose.
Auch Gemma Rovira (42) aus Barcelona sieht Katalonien nach dieser Wahl keinen Schritt weiter. «Madrid wollte, dass die Independisten abgewählt werden, doch das ist nicht passiert.» Jetzt brauche es Vermittlung von aussen, etwa durch die EU. «Sonst wird sich an der Situation hier nichts ändern, und das Patt zwischen Madrid und Barcelona wird das Land weiter lähmen», meint sie.
Wie kam es zu diesem Ergebnis?
Carles Puigdemont, der abgesetzte Regierungschef Kataloniens, triumphiert im fernen Belgien. Für ihn war die Wahlnacht ein klarer Sieg. Das separatistische Bündnis bleibt an der Macht und hat im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2015 sogar noch Stimmen dazugewonnen, wie die spanische Tageszeitung «El País» berichtet.
Für den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy hingegen ist das Wahlergebnis ein Schlag ins Gesicht. Er hatte die Separatisten monatelang kompromisslos mit allen juristischen Mitteln bekämpft. Nicht zuletzt auch mit dem berüchtigten Artikel 155 – womit er Katalonien die Autonomierechte entzog.
Dafür erhielt er am Donnerstagabend die Retourkutsche: Acht Sitze musste Rajoys Partei, die rechtskonservative Partido Popular einbüssen – sie wird in Zukunft nur noch mit drei von 135 Sitzen im katalanischen Parlament vertreten sein.
Kommt es nun doch zur Abspaltung?
Trotz des Triumphs der Separatisten haben insgesamt 43 Prozent der Wähler eine jener Parteien gewählt, die sich gegen die Unabhängigkeit aussprechen. Eine davon, die liberalen Ciudadanos, hat gestern ausserdem mit 27 Prozent den höchsten Stimmenanteil gewonnen. Ihre Parteichefin, die 36-jährige Inés Arrimadas, hat zwar alle Gegner abgehängt – doch fehlen ihr die Koalitionspartner.
Wie stark das Bündnis zwischen den drei separatistischen Parteien – Linksrepublikaner, Christdemokraten und Linksradikale – ist, bleibt vorerst offen. Carles Puigdemont von den Christdemokraten und sein ehemaliger Vize Oriol Junqueras von den Linksrepublikanern waren zuletzt zerstritten. Zudem haben die drei Parteien ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Unabhängigkeit: Während Puigdemont Rajoy weiterhin zum Dialog aufruft, ist die Abspaltung in den Köpfen der Linksrepublikaner bereits beschlossene Sache.
Fakt ist: Nicht alle, die am Donnerstag für die Separatisten stimmten, wollen zwangsläufig die Unabhängigkeit. Viele Katalanen sind unzufrieden, fordern eine andere Politik, mehr Autonomie und finanzielle Selbstverwaltung. Wenn sich Rajoy nun entgegen allen Erwartungen doch kompromissbereit zeigt, könnte Kataloniens Wunsch nach Abspaltung bald Geschichte sein.
Wer wird Regierungschef?
Puigdemont hat bereits angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs aus dem Exil zurückzukehren, um in Katalonien erneut das Zepter zu übernehmen. Das Problem: Er steht in Spanien wegen Aufruf zur Rebellion auf der Fahndungsliste. Würde er ins Land zurückkehren, könnten ihn die Behörden sofort verhaften, schreibt die deutsche Zeitung «Die Zeit». Auch kann er Katalonien nicht von Brüssel aus regieren.
Sein ehemaliger Vize, Oriol Junqueras kommt auch nicht in Frage – er sitzt im Gefängnis. Mittlerweile wurde auch ein Verfahren wegen Rebellion gegen den früheren Regierungschef Artur Mas und die Generalsekretärin der Linksrepublikaner, Marta Rovira, eingeleitet. Wer zukünftig in Katalonien regieren soll, ist unklar. Doch: Der zukünftige Regierungschef kann nicht ein zweites Mal so skrupellos für die Abspaltung kämpfen. Die Fehde mit der Zentralregierung im Herbst hat in Katalonien Narben hinterlassen – in der Wirtschaft und in den Köpfen der Menschen.