28 Jahre alt, 630 Flugstunden und seit Herbst 2013 als Co-Pilot im Cockpit von Germanwings – Andreas Lubitz wurde mit Auszeichnung in die Datenbank der Federal Aviation Administration (FAA) aufgenommen. Er hatte die Prüfungsanforderungen übertroffen.
Am Dienstag setzte er seinem Leben ein Ende – und nahm 149 unschuldige Menschen mit sich. Es bleibt die fassungslose Frage nach dem Warum. Blick.ch hat mit Josef Sachs, Chefarzt Forensik der Psychiatrischen Dienste Aargau, darüber gesprochen.
Was bringt jemanden dazu, 149 unschuldige Menschen mit in den Tod zu reissen?
Josef Sachs: Hinter einem derartigen erweiterten Suizid steckt ein ganz anderer Mechanismus, als wenn jemand Angehörige mit in den Tod nimmt. Wer auf diese Art Unbeteiligte mit ins Verderben reisst, will, dass die ganze Welt an seinem Leid teilnimmt. Hinter so einer Tat steckt wohl ein Mensch, der sich selbst als sehr bedeutend empfindet. Er wurde aber massiv gekränkt und ist an seinem Umfeld und an der Welt verbittert. Seine Tat ist ein Rache-Akt an der Gesellschaft und beinhaltet die Botschaft: «Seht, wozu ihr mich gebracht habt!»
Aber die Menschen, die mit ihm gestorben sind, konnten nichts für sein Unglück. Warum war ihm das egal?
Solche Menschen stecken so tief in einem dunklen Loch, sie können nur noch an sich denken. Die Passagiere, die beim Absturz ums Leben gekommen sind, stehen stellvertretend für die Sündenböcke in der Gesellschaft.
War es also ein Akt purer Bosheit?
Nein, es war ein Akt der Verzweiflung. Er wollte diese Verzweiflung aber nicht für sich behalten, sondern allen Menschen mitteilen. Auch wenn er die Auswirkungen nicht mehr mitbekommt – das Bewusstsein, dass alle an seinem Tod teilhaben, reicht ihm. Er wollte nicht sang- und klanglos untergehen.
Ist eine andere Erklärung ausgeschlossen?
Nein, aber viel weniger wahrscheinlich. Es gäbe auch die Möglichkeit, dass der Co-Pilot Stimmen gehört hat. Gegen eine derart schwerwiegende psychische Krankheit spricht allerdings, dass Piloten sozial und medizinisch sehr eng kontrolliert werden.
Der Co-Pilot konnte nicht davon ausgehen, dass sein Kollege auf einem Flug, der nur anderthalb Stunden dauert, das Cockpit verlässt und aufs WC muss. War die Tat das Ergebnis einer Kurzschlussreaktion?
Meistens entsteht ein Mitnahme-Suizid nicht aus dem Affekt. Die Vorstellung ist viel eher schon lange in ihm gereift. Es ist wahrscheinlich, dass der Situation eine gewisse Entwicklung oder sogar ein Plan vorausgegangen ist.
Hätte man ihm nichts anmerken müssen?
Diesen Menschen merkt man gegen Aussen oft nichts an, sie verkörpern nicht das klassische Bild eines Depressiven. Es ist nicht so, dass sie sich immer stärker zurückziehen, ihren Kummer im Alkohol ertränken oder Mühe haben, am Morgen überhaupt aufzustehen. Sie verfügen trotz ihrer Krise noch über eine starke Persönlichkeit und können eine Fassade aufrechterhalten.
Welche Kränkungen und Verletzungen gehen so einer Tat voraus?
Das ist sicher nicht ein einzelnes Ereignis, sondern vielmehr ein Problem, das sich über Monate oder sogar Jahre hingezogen hat. Die einzelnen Kränkungen wären isoliert betrachtet vielleicht nicht so schlimm, in der Summe werden sie aber irgendwann nicht mehr tragbar. Am Dienstag oder kurz davor ist wohl etwas passiert, was das Fass schliesslich zum Überlaufen gebracht hat.