Darum gehts
- Urteilsverkündung im Prozess gegen Marine Le Pen wegen Veruntreuung von EU-Geldern
- Le Pen beklagt Verbot bei Wahlen anzutreten, bezeichnet es als undemokratisch
- 25 Angeklagte, darunter neun ehemalige EU-Abgeordnete und zwölf ehemalige Parlamentsassistenten
Die rechtsnationale französische Politikerin Marine Le Pen kann aller Voraussicht nach nicht bei der Präsidentschaftswahl 2027 kandidieren. Nach einem Schuldspruch wegen Veruntreuung von Geldern durch Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern im Europaparlament verhängte das Gericht in Paris mit sofortiger Wirkung die Strafe der Unwählbarkeit für politische Ämter für fünf Jahre.
Zudem ist Le Pen zu zwei Jahren Haft mit Fussfessel verurteilt worden. Zwei weitere Jahre Haft setzte das Strafgericht in Paris zur Bewährung aus. Ausserdem wurde eine Geldstrafe von 100'000 Euro (umgerechnet 95'424 Franken) verhängt.
Das Urteil kann angefochten werden. Es gilt gemeinhin aber als unwahrscheinlich, dass ein Berufungsprozess zu einem schnellen Ergebnis kommen würde.
Le Pen spricht im französischen Fernsehen
Am Montagabend spricht die Politikerin im französischen Fernsehen über das Urteil. Im Interview wirft Le Pen dem Gericht vor, eine «politische Entscheidung» getroffen zu haben, schreibt SkyNews. Weiter sagt sie, der Richter habe einen «Fehler» begangen. Sie spricht von einem «fatalen Tag für unsere Demokratie und unser Land», zitiert sie BFMTV.
Dass sie den Gerichtssaal noch vor Verkündigung des Urteils verlassen habe, erklärt sie damit, dass sie es «nicht für nötig gefunden habe», da sie «verstand, was vor sich ging». Sie ergänzt, dass das Gericht sie «absichtlich» versuche daran zu hindern, im Jahr 2027 zu kandidieren.
Somit würde es Millionen von Menschen in Frankreich vorenthalten, für ihren Favoriten zu stimmen. Eine Kandidatur des 29 Jahre alten Parteichefs Jordan Bardella an ihrer Stelle wies Le Pen zurück. «Bardella ist ein Trumpf für die Partei. Ich hoffe, dass wir diesen Trumpf nicht früher ausspielen als nötig», sagte die Fraktionschefin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National. «Ich werde alle Mittel ausschöpfen, die es gibt. Es gibt einen Weg, auch wenn er schmal ist.»
Aufgeben will sie noch nicht. Sie werde das Berufungsverfahren mit «aller Energie» vorantreiben. «Ich werde mich nicht einfach so aus dem Weg räumen lassen. Millionen Franzosen glauben an mich. Ich kämpfe seit 30 Jahren für euch», so Le Pen kämpferisch.
Das Urteil am Montag bedeute keinesfalls, dass sie sich aus der Politik zurückziehen werde, sagt sie. Es habe sie nicht «demoralisiert», sondern «empört». «Ich bin unschuldig», fügt sie an.
Desaster für Le Pen und ihre Partei
Noch bevor die Vorsitzende Richterin das komplette Urteil und die vollständige Strafe gegen Le Pen verkündete, verliess die Politikerin den Gerichtssaal. Ihr droht ausserdem eine Haft- und eine Geldstrafe.
Für die rechte Partei und Le Pens politische Ambitionen ist das Ergebnis des Prozesses ein Desaster. Der vorübergehende Verlust des passiven Wahlrechts ist in Frankreich eine gängige Strafe, wenn Politiker wegen Korruption und Untreue verurteilt werden. Dennoch gilt es aufgrund der grossen Beliebtheit von Le Pen als heikel – auch moderate Politiker hatten Bedenken angemeldet, da es das Narrativ befeuern könnte, das Urteil sei politisch motiviert, um Le Pen als Präsidentin zu verhindern.
Der Vorsitzende des rechtsnationalen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, hat den Schuldspruch seiner Parteikollegin als Todesstoss für Frankreichs Demokratie bezeichnet. «Es ist nicht nur Marine Le Pen, die heute ungerechterweise verurteilt wurde: Das ist die Hinrichtung der französischen Demokratie», schrieb er auf der Plattform X.
Die Partei ruft zu einem frankreichweiten Protest auf. «Ich rufe zu einer friedlichen Volksmobilisierung auf», erklärte Bardella, am Abend. «Wir werden in den nächsten Wochen überall vor Ort sein. Denjenigen, die sich von der Demokratie abwenden wollen, werden wir zeigen, dass der Wille des Volkes am stärksten ist.»
Anwalt kündigt Berufung an
«Es ist mein politischer Tod, der gefordert wird mit vorläufiger Vollstreckung, und das ist, glaube ich, von Anfang an das Ziel dieser Operation», hatte Le Pen auf die Forderung der Anklage reagiert, ihre Unwählbarkeit für politische Ämter vorläufig und sofort vor Rechtskraft des Urteils umzusetzen.
Ihr Anwalt verkündete bereits, dass man gegen das Urteil Berufung einlegen wird. Bis zum Ende der Wahlperiode kann Le Pen aber weiter als Abgeordnete im Parlament sitzen, wo sie Fraktionsvorsitzende ist.
Zentraler Vorwurf in dem Prozess war, dass Le Pens Partei Rassemblement National Geld für parlamentarische Assistenten vom Europäischen Parlament bekommen hat, die aber teilweise oder ganz für die Partei gearbeitet hätten. Die Affäre hatte Le Pen und ihre Partei seit Jahren belastet.
Rassemblement National so stark wie nie
Das Debakel vor Gericht trifft die rechtsnationale Partei in Frankreich in einem ungünstigen Moment, denn schon seit einer Weile ist sie beständig auf dem Vormarsch und im Parlament inzwischen so stark vertreten wie noch nie. Die von ihrem kürzlich gestorbenen Vater Jean-Marie gegründete rechtsextremistische Front National benannte Marine Le Pen 2018 in Rassemblement National um und verzichtete auf allzu radikale Positionen, um sie auch in breiteren Schichten der Bevölkerung wählbar zu machen.
Der bisherige Plan war gewesen, dass bei einem Sieg Le Pens bei der Präsidentschaftswahl und einem Sieg ihrer Partei bei der nachfolgenden Parlamentswahl RN-Chef Jordan Bardella (29) Premierminister geworden wäre. Ob Bardella nun für das Präsidentenamt kandidieren will, ist noch nicht bekannt.
Le Pen wies Vorwürfe stets zurück
In der Affäre um eine mögliche Scheinbeschäftigung von EU-Mitarbeitern hatte Le Pen die Vorwürfe stets zurückgewiesen. «Ich habe nicht das Gefühl, die geringste Regelwidrigkeit, die geringste Rechtswidrigkeit begangen zu haben», sagte sie im Prozess. Mit ihr wurden acht weitere Abgeordnete ihrer Partei im Europaparlament schuldig gesprochen, sowie 12 parlamentarische Assistenten. Im Raum stand die mögliche Scheinbeschäftigung von Assistenten durch mehrere französische Europaabgeordnete.