Die jüngsten Forderungen der Regierung in London zur Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im sogenannten Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags seien praktisch nicht zu erfüllen, machte Holger Hestermeyer, Professor für Internationales Recht und Europarecht am King's College London, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag deutlich. Die EU habe «hier rechtlich kaum Verhandlungsspielraum», was beiden Seiten bekannt sei, so der Experte.
Der britische Brexit-Minister David Frost wollte noch am Dienstag bei einer Rede in Lissabon die Position Londons vorstellen - einen Tag, bevor die EU am Mittwoch ihrerseits Lösungsvorschläge präsentieren will. Frost hatte die erwarteten Zugeständnisse der Europäischen Kommission bereits im Vorfeld als nicht ausreichend bezeichnet und gefordert, der EuGH dürfe keine Rolle mehr spielen. Spekuliert wird daher, London könne es auf einen Zusammenbruch der Vereinbarung angelegt haben. Die Reaktion Brüssels darauf könnte nach Ansicht Hestermeyers und anderer Experten drastisch ausfallen: mit einer Kündigung des Freihandelsabkommens zwischen London und Brüssel.
Mit dem Nordirland-Protokoll gelang während der Austrittsverhandlungen der Durchbruch im Streit um die frühere Bürgerkriegsregion. Das Abkommen sieht vor, dass die Provinz weiterhin den Regeln von EU-Binnenmarkt und Zollunion folgt. Damit soll eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland verhindert werden. Notwendig werden dadurch aber Kontrollen zwischen dem Rest des Vereinigten Königreichs und Nordirland. Das sorgt für Schwierigkeiten im innerbritischen Handel.
Premierminister Boris Johnson hatte das Nordirland-Protokoll zunächst als grossartigen Erfolg gefeiert. Mit der Einigung wurde der Weg frei für das Brexit-Abkommen und ein gefürchteter No-Deal-Brexit verhindert. Inzwischen klagt die Regierung in London aber immer mehr über die Konsequenzen des Protokolls und will nachverhandeln.
(SDA)