Am 16. Oktober 2017 steigt die maltesische Investigativ-Journalistin Daphne Caruana Galizia (†53) in einen gemieteten Peugeot 108. Kurz nachdem sie von ihrer Wohnung in Bidnija im Norden der Insel losgefahren ist, explodiert ihr Auto. Die Explosionswucht schleudert den Kleinwagen über eine Mauer auf ein angrenzendes Feld. Galizia hat keine Chance.
Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in der Grundrechtecharta der Europäischen Union festgehalten. Artikel 11, gleich nach den Absätzen zur Würde des Menschen. Doch in Malta müssen Journalisten um ihr Leben fürchten.
Caruana Galizia war die profilierteste Investigativ-Journalistin des Landes. Unter anderem enthüllte sie die Verwicklung des damaligen maltesischen Energieministers Konrad Mizzi (42) sowie von Keith Schembri (44), Büroleiter von Regierungschef Joseph Muscat (45), in die «Panama Papers». Doch Galizias Kreuzzug gegen Intransparenz und Korruption kostete sie das Leben. Mehrfach hatte sie wegen Morddrohungen Strafanzeige erstattet.
Regierung soll in Mord verwickelt sein
Erst am 20. November 2019 gelang Ermittlern der Durchbruch im Mordfall Galizia. Sie verhafteten den Hotel- und Casinobesitzer Yorgen Fenech auf seiner Yacht, als er versuchte, von der Mittelmeerinsel zu flüchten. Im Polizeiverhör beschuldigte er Ermittlungskreisen zufolge Muscats Kabinettschef Schembri, den Mord in Auftrag gegeben zu haben.
Zwei Jahre nach dem Attentat auf Galizia reicht es den Maltesern. Sie sind überzeugt: Der innerste Zirkel der Regierung ist in den Mord verwickelt. Seit Freitagabend demonstrieren Tausende auf den Strassen von Valletta, der Hauptstadt des kleinsten EU-Landes, gegen die «Mafia-Regierung». Um die Dimension zu begreifen: Der Zwergstaat hat gerade mal so viele Einwohner wie Zürich und Winterthur zusammen. «Mörder!», rufen die wütenden Demonstranten. Und: «Weg mit euch!» Malta ist von Korruption zerfressen.
Offene Türen für dubiose Investoren
Die Malteser haben sich viel gefallen lassen. Regierungschef Joseph Muscat ist seit fast sieben Jahren im Amt. Vom obersten Richter bis zum Polizeichef darf der Ministerpräsident alle wichtigen Beamten selbst ernennen. Dubiosen russischen und nahöstlichen Investoren und ihren Geschäften hat seine Regierung Tür und Tor geöffnet, ihnen EU-Pässe verkauft, Steuerhinterziehung begünstigt und systematische Geldwäsche im Inselstaat ignoriert.
Doch nach Fenechs Verhaftung zieht sich die Schlinge um Muscats Hals immer enger zu. Gegen die Bank of Valletta läuft eine Untersuchung der Europäischen Zentralbank. Zwei Minister und sein Kabinettschef sind eilig zurückgetreten. Muscat selbst will sein Amt im Januar aufgeben.
Die Wut der Malteser hat sich lange aufgestaut. Nun entlädt sie sich.