Profitiert Putin am Ende sogar noch vom Rubel-Zerfall?
«Man kann die Schulden abarbeiten, indem man an die Front geht»

Nach neuen Sanktionen aus den USA ist der Rubel unter Druck. Die Wirtschaft hat Mühe, Arbeitskräfte zu finden, und die Bevölkerung leidet unter stark steigenden Preisen. Dabei dürfte Wladimir Putin versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen.
Publiziert: 12:58 Uhr
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Aktualisiert: 13:57 Uhr
Russische Soldaten, die in der Ukraine eingesetzt werden sollen, nehmen nach ihrer medizinischen Untersuchung in Rostow am Don an ihrer Vereidigungszeremonie teil (Bild vom 16. November 2024).
Foto: Anadolu via Getty Images
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Daniel JungRedaktor News

Die russische Währung hat am Mittwoch 8,5 Prozent an Wert eingebüsst und einen neuen Tiefstand erreicht. Nur kurz nach Beginn des Ukrainekriegs, im März 2022, war der Rubel noch weniger wert gewesen. Gleichzeitig ist die Teuerung im Land sehr hoch. 

Das ist eine starke Belastung für die russische Bevölkerung, weil die Lebenskosten stark ansteigen. Es ist aber auch ein Problem für Wladimir Putin (72), den Ukrainekrieg weiter zu finanzieren. Trotzdem könnte der Kremlchef sogar diese dramatische Situation noch zu seinen Gunsten nutzen. 

Wieso ist der Rubel gerade jetzt so schwach?

Auslöser für den Zerfall der russischen Währung war die Regierung von Joe Biden (82). Sie hat die Sanktionen gegen die Gazprombank, die letzte grosse, bisher kaum sanktionierte Bank, verschärft. Moskau nutzt die Bank zur Bezahlung von Soldaten und zur Abwicklung von Handelsgeschäften.

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Wladimir Putin ist unter Druck: Der Rubel fiel diese Woche auf den tiefsten Wert seit März 2022.
Foto: Getty Images

In der Folge geriet der Rubel unter Druck, worauf sich Präsident Wladimir Putin zu einem Kommentar genötigt sah. An einem Gipfeltreffen in der kasachischen Hauptstadt Astana sah er «keinen Grund zur Panik». «Die Situation ist unter Kontrolle», erklärte er am Donnerstag. 

Was heisst das für die russische Bevölkerung?

Die Schwäche des Rubels dürfte die Inflation in Russland weiter befeuern, weil Importe teurer werden. Offiziell prognostiziert die Zentralbank weiter eine Inflation von maximal 8,5 Prozent für dieses Jahr. Die Konsumenten klagen jedoch über höhere Preissteigerungen.

Kartoffeln wurden nach Angaben der russischen Statistikbehörde Rosstat in diesem Jahr um 74 Prozent teurer, Zwiebeln um 33 Prozent. 

Zwar stiegen zuletzt auch die Löhne rasch an – unter anderem, weil der Kreml Milliarden in die Rüstungsindustrie steckt und Hunderttausende von Männern in den Kampf in der Ukraine schickt. Damit Unternehmen um Arbeitskräfte konkurrieren können, müssen auch sie höhere Löhne zahlen. Im Gegenzug verlangen sie höhere Preise, was die Preisspirale fortsetzt.

Was heisst das für Putin und den Krieg in der Ukraine?

Auch für Putin sind die Inflation und der schwache Rubel ein Problem. Denn auch für die Armee werden Importe teurer, während die Reserven, die Putin in Rubel hält, an Wert verlieren. Der Ölpreis ging zuletzt zurück. Ein weiterer Ausbau der Ölförderung in den USA könnte Putin hart treffen, denn Öl ist Russlands wichtigstes Exportgut.

Die russischen Militärausgaben haben sich seit 2021 mehr als verdreifacht und werden im Haushalt des nächsten Jahres einen Rekordwert von 13,5 Billionen Rubel (110 Milliarden Franken) erreichen. 

Die russische Armee hatte bei ihren intensiven Angriffen gegen die Ukraine auch hohe Verluste erlitten. Zwar kann Russland inzwischen auch auf Unterstützung von Truppen aus Nordkorea und Jemen zählen. Dennoch ist Putin auf Rekrutierung im Inland angewiesen, was viel Geld kostet. 

Was heisst das für die Rekrutierung der russischen Armee?

Putin lockt neue Rekruten mit hohen Gehältern und Prämien. In einigen der ärmsten Regionen des Landes beträgt der Militärlohn bis zum Fünffachen des Durchschnittslohns. Die Familien von Soldaten, die an der Front sterben, erhalten hohe Entschädigungszahlungen.

«Der Rubel schmiert komplett ab», sagte der Sicherheitsexperte Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz diese Woche im Podcast «Ronzheimer». Das Zynische sei: «Im System Putin wird man selbst das noch nutzen, um Soldaten für die Front zu rekrutieren.» So könnte der Kremlchef profitieren: Viele Menschen in Russland hätten für ihre Wohnung, ihr Auto oder ihr Mobiltelefon Kredite in US-Dollar aufgenommen. «Wenn der Rubel nun fällt, können die ihre Kreditraten nicht mehr bezahlen», sagt Lange. Dann werde der russische Staat sagen: «Man kann die Schulden abarbeiten, zum Beispiel, indem man an die Front geht.» 

Tatsächlich bietet Russland neuen Rekruten ab dem 1. Dezember einen Schuldenerlass von bis zu 10 Millionen Rubel (80’000 Franken) an. Ukraine-Kämpfer und -Veteranen können «Krediturlaub» und bevorzugte Kredite erhalten. Banken werden verpflichtet, alle Kredite abzuschreiben, die von getöteten oder schwer verletzten Soldaten aufgenommen wurden. 

Wie könnte es weitergehen?

Russlands Wirtschaft hat schon früher düsteren Prognosen getrotzt. Als die westlichen Staaten Anfang 2022 die Sanktionen gegen Moskau verhängten, führte dies nur kurzfristig zu einer Lähmung. 

Jedoch hat der fallende Ölpreis die wichtigste Einnahmequelle des Landes beeinträchtigt. Wegen der Kriegsanstrengungen ist die Wirtschaft so stark überhitzt, dass die finanzielle Stabilität gefährdet ist.

Verschiedene Experten erwarten, dass die russische Zentralbank noch im Dezember die Leitzinsen erneut anhebt, wohl auf 23 Prozent. Mit 21 Prozent liegt der Zinssatz aber bereits auf dem höchsten Stand seit über 20 Jahren, was für private Unternehmen sehr ungemütlich ist. 

Vieles spitzt sich gerade zu: Nicht nur der Wechsel von Biden zu Donald Trump (78) in den USA, sondern auch die Leistungsfähigkeit der russischen Wirtschaft werden den weiteren Verlauf des Ukrainekriegs entscheidend prägen.

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