Wie ein Cäsar und Messias in einem zog Emmanuel Macron (40) vor genau einem Jahr als Sieger der französischen Präsidentenwahlen in den Hof des Louvre und liess sich zu Beethovens pathetischer «Ode an die Freude» feiern. Am letzten Samstag demonstrierten Zehntausende gegen den Präsidenten und seine Politik. Schaden wird ihm das allerdings nicht. Macron hat Frankreich zwar durchgeschüttelt wie noch kein Präsident der Fünften Republik, also seit 60 Jahren. Er hat aber auch gezeigt, dass er das reformunwillige Frankreich umgestalten kann – langsam, aber sicher.
Noch immer stehen über 40 Prozent hinter Macron
Denn eine richtige Opposition, welche die Unzufriedenen bündeln könnte, hat der jüngste Staatschef Frankreichs seit Napoleon nicht. Den bürgerlichen Rechten fehlen die Argumente gegen Macron, der viele ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Liberalisierungsanliegen vertritt. Und die Linke ist zu zersplittert – die Sozialistische Partei hat sich praktisch selber aufgelöst und der Linksaussen Jean-Luc Mélenchon (66) verkommt immer mehr zum wütenden Politclown ohne Wirkung.
Die Unzufriedenen auf der Strasse, das sind die noch verbliebenen versprengten Linken, die Studenten und die Eisenbahner, die seit einem Monat das Land an zwei Tagen pro Woche mit Streiks lahmlegen. Sie sind die Einzigen, die das Volk gegen Macron aufbringen könnten, weil er keine Anstalten macht, seine Bahnreform zu stoppen. Doch obwohl die Franzosen viel Verständnis für die Eisenbahner haben, die ihren privilegierten Status verteidigen – dem Präsidenten schadet seine sture Haltung nicht. Noch immer stehen weit über 40 Prozent der Franzosen hinter Macron. Bei seinen Vorgängern François Hollande (63) und Nicolas Sarkozy (63) lagen die zustimmenden Umfragewerte nach dem ersten Amtsjahr wesentlich tiefer, bei rund 25 Prozent.
Wer sich in den Weg stellt, wird gedeckelt oder gefeuert
Von Umfragewerten und Protesten auf der Strasse lässt sich Macron allerdings ohnehin nicht beeindrucken. Kaum gewählt, startete er ein Reformprogramm, wie es Frankreich noch nie gesehen hat. Arbeitsmarkt liberalisieren und an die Sozialpartner delegieren, Steuern reduzieren, das Parlament verkleinern, die Einwanderungsgesetze verschärfen, den Zugang zur Universität kanalisieren, den Bähnlern die Pensionierung mit 52 streichen und dem staatlichen Bahnunterhhemen SNCF das Monopol beim Schienenverkehr – viele heisse Eisen packt er an und weicht nur marginal von seinen Wahlversprechen ab. Macron hat in einem Jahr mehr umgekrempelt als seine Vorgänger in ihren fünf Amtsjahren.
Wer sich dem Turboreformer Macron in den Weg stellt, wird in den Senkel gestellt. Journalisten, die kritische Fragen stellten, pflaumte er an: Er brauche weder Kommentare noch Belehrungen. Und warf die akkreditierten Medien kurzerhand aus ihren angestammten Büros im Präsidentenpalast, sie beobachten Macron nun aus einem Nebengebäude. Auch seinen Ministern gab er den Tarif durch: Sollten Indiskretionen aus ihren Büros an die Öffentlichkeit durchsickern, seien sie ihren Job sofort los. Sogar mit der Armeeführung ging er unzimperlich um: Er sei der Chef, und sie sollten gefälligst die Klappe halten, sagte er an die Adresse der Generäle, die sich gegen Budgetkürzungen beim Militär zu wehren wagten. Und sein Premierminister Édouard Philippe (47) war nie etwas anderes als sein Erfüllungsgehilfe ohne eigene Gestaltungsmacht.
«Göttervater» nimmt er als Kompliment
Macron regiert fast wie ein König aus dem Élysée-Palast heraus – wenn er in den Medien süffisant als «Jupiter, der Göttervater» bezeichnet wird, so nimmt er das als Kompliment. Er sieht sich weniger als Politiker denn als Träger der Mission, Frankreich und die Welt zu einem besseren Ort zu machen – selbstverständlich so, wie er sich selber das vorstellt. Vielleicht versteht er sich darum so gut mit Donald Trump (71) und Wladimir Putin (65). Sie gehören auch zu Macrons Erfolgsmethode. Die Treffen mit ihnen, die häufigen Telefongespräche mit ihnen über Nordkorea oder Syrien haben Frankreich wieder zu einem Player in der internationalen Politik gemacht. Allein das werden die Franzosen ihrem heutigen Präsidenten nie vergessen: Er macht Frankreich wieder zur «Grande Nation».