Erstmals in der gut 100-jährigen Geschichte des zum Vereinigten Königreich gehörenden Landesteils wurde mit Sinn Fein eine Partei stärkste Kraft in der Northern Ireland Assembly, die sich für die Loslösung von Grossbritannien und die Vereinigung mit der Republik Irland einsetzt. Sie errang 27 Mandate und verwies damit die protestantische-unionistische DUP auf den zweiten Platz, die 25 Mandate erreichte. Sinn-Fein-Spitzenkandidatin Michelle O'Neill hat nun Anspruch auf das Amt der Regierungschefin. Stark schnitt auf die Alliance Party ab, die mit 17 Sitzen die Grösse ihrer Fraktion mehr als verdoppeln konnte
Zur Regierungsbildung dürfte es vorerst jedoch nicht kommen. Nach dem als Karfreitagsabkommen bekannten Friedensschluss von 1998 müssen sich die jeweils stärksten Parteien beider konfessioneller Lager auf eine Einheitsregierung einigen. Doch die DUP kündigte bereits an, aus Protest gegen den Brexit-Sonderstatus des Landesteils eine Regierungsbildung zu boykottieren. Der Provinz droht damit die politische Lähmung.
DUP-Chef Jeffrey Donaldson warf der EU und der britischen Regierung im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur vor, Nordirland als politischen Spielball zu nutzen. Grossbritanniens Premier Boris Johnson forderte er auf, die als Nordirland-Protokoll bezeichnete Vereinbarung im Brexit-Abkommen durch einen Notfallmechanismus ausser Kraft zu setzen und fügte hinzu: «Wir haben uns schwer im Stich gelassen gefühlt, als die britische Regierung dem Protokoll zustimmte».
Das Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags sieht einen Sonderstatus für die Provinz vor, um Kontrollen an der Grenze zum EU-Mitglied Republik Irland zu vermeiden. Dafür müssen nun aber Waren kontrolliert werden, wenn sie von England, Schottland oder Wales nach Nordirland gebracht werden. Viele Befürworter der Union mit Grossbritannien fürchten, dass Nordirland damit vom Rest des Vereinigten Königreichs abgekoppelt wird.
Die DUP macht das Protokoll unter anderem auch für stark gestiegene Lebensmittelpreise in Nordirland verantwortlich. An die Adresse Brüssels gerichtet sagte Donaldson: «Wenn Sie wirklich ernsthaft daran interessiert sind, das Karfreitagsabkommen zu schützen, erkennen Sie an, welchen Schaden das Protokoll daran anrichtet.»
Die US-Regierung rief die Parteien unterdessen zur Bildung einer Einheitsregierung auf, wie es im Karfreitagsabkommen vorgesehen ist.
Kritische und unmittelbare Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit und Bildung liessen sich am besten durch die gemeinsamen Anstrengungen einer Einheitsregierung bewältigen, die von der Bevölkerung gewählt und ihr gegenüber rechenschaftspflichtig sei, erklärte der Sprecher des US-Aussenministeriums, Ned Price, am Samstag (Ortszeit). «Wir freuen uns darauf, unsere Arbeit mit den demokratischen Partnern in Nordirland und mit den Regierungen Grossbritannien und Irlands fortzusetzen, um Frieden, Wohlstand und Stabilität in der gesamten Region zu fördern», so Price.
(SDA)