Herr Rösler, Sie sind das neue Gesicht des Weltwirtschaftsformus (WEF). In Davos moderieren Sie Gespräche zur Wirtschaft. Das wird jetzt schwierig werden.
Philipp Rösler: Das wird ganz und gar nicht schwierig werden, da wir über alle Themen reden.
Der Anschlag in Paris verlegt den Fokus klar auf den Terrorismus.
Die Überschrift des Jahrestreffens in Davos lautet «Neue Kontexte». Es geht um wirtschaftspolitische Entwicklungen, die Euro-Zone, globales Wachstum. Zentral sind dabei Diskussionen über geopolitische Entwicklungen – und den Kampf gegen gewaltbereiten Extremismus.
Wie ändert Paris das WEF?
Es war stets klar, dass wir über den IS reden, über Russland, und die Ukraine und über Konflikte im südchinesischen Meer.
Sie bringen Menschen zusammen, um die Welt besser zu machen. Wo ist sie denn schlecht?
Die grössten Risiken und Gefahren gehen von der Ungleichheit aus. Wichtig ist daher weltweites Wachstum, an dem möglichst alle teilhaben können.
Führt Ungleichheit zu Terrorismus?
Es gibt nicht eine Ursache sondern viele. Klar ist: Perspektivlose Menschen sind anfälliger für extreme Botschaften.
Menschen in Europa haben nach Paris noch mehr Angst vor einer Islamisierung. Zurecht?
Mit Religion hat diese Form des Terrorismus doch nichts zu tun. Es ist gewaltbereiter Extremismus.
Dennoch: Gehört der Islam zu Europa?
Ihre Frage ist im Zusammenhang mit Terrorismus nicht entscheidend. Gewalt und Extremismus haben mit Religionen nichts zu tun, auch wenn Terroristen versuchen damit ihre Tat zu rechtfertigen.
Sie tragen keine Krawatte. Ist es in einer Denkfabrik weniger steif als in der deutschen Regierung?
Es gibt keine Vorgaben. Gestern war der chinesische Botschafter zu Besuch, da trug ich eine Krawatte.
Sie sind hier ungezwungener?
Selbstverständlich. Als Mitglied der Regierung stand ich 24 Stunden sieben Tage die Woche unter Beobachtung. Das ist hier nicht so, und das ist angenehm.
Eine Denkfabrik wie das WEF produziert Papiere, nicht Resultate.
Wir sind nicht nur Denkfabrik. Es geht uns nicht um blosse Problembeschreibung und um blosse Diskussionen. Sondern um Massnahmen und Aktionen.
Das sagt die Politik auch.
Wir setzen nicht nur auf die Wirtschaft, nicht nur auf Politik. Wir vereinen alle: Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, die Jungen, Frauen wie Männer.
Als Politiker konnten Sie Konkretes bewirken, jetzt reden Sie nur.
Es ist umgekehrt. Als Politiker machte ich Gesetze, arbeitete mit Beamten. Mehr hatte ich nicht. Beim Forum sind alle Teile der Gesellschaft dabei. Deshalb gibt es konkrete Initiativen und Projekte. Wir motivieren viele Menschen, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen.
Was haben Sie konkret erreicht?
Wir hatten ein erfolgreiches Treffen mit dem japanischen Premierminister und dabei über Reformen gesprochen. Im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland brachten wir die Wirtschaft zusammen. Sie entwickelte Ideen und reichten diese der Politik weiter. Beides entfaltet bereits Wirkung.
Sie verdienen jetzt mehr als zuvor in der Politik. Wie wichtig war das für Ihren Wechsel?
Gehaltsfragen spielten bei mir nie eine Rolle. Sonst hätte ich einen anderen Beruf gewählt als aus Überzeugung etwas zu tun.
Eine Gefahr für die Weltwirtschaft wäre ein Ausstieg Griechenlands aus dem Euro. Wie sehen Sie das?
Tagespolitik kommentiere ich nicht mehr. Betrachte ich die europäische Entwicklung, sehe ich im Vergleich zu 2011, 2012 und 2013 deutliche Fortschritte. Einzelne Reformbemühungen in Portugal, Spanien und in Griechenland wirken. Das Vertrauen wächst, dass die Euro-Zone ihre Probleme bewältigt.
Weltweit gehen die Zinsen gegen Null. Wie gross ist die Gefahr einer Deflation in Europa?
Die Zinsen sind sehr niedrig, einzelne Branchen wie die Versicherungen leiden. Es gibt nur ein Mittel dagegen: wirtschaftliches Wachstum. In Davos geht es in fast allen Veranstaltungen genau darum.
Haben Sie Ihr Vermögen in Franken oder in Euro angelegt?
Ich habe kein Vermögen. Wir haben ein keiner Haus, es gehört der Sparkasse und steht in Hannover.
Der Ölpreis hat sich letztes Jahr halbiert. Schwellenländer wie Russland, Iran oder Venezuela leiden. Was bedeutet das?
An der Tankstelle freuen wir uns über günstigeres Benzin. Der niedrige Ölpreis hat aber negative Auswirkungen auf bisher stabile Staaten und Regionen. Instabilität schadet der gesamten Weltwirtschaft. Deshalb freut sich kaum jemand dauerhaft über billiges Öl.
Allein in Libyen warten 600'000 Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa. Wie schlimm ist die Flüchtlingskrise?
Es ist die grosse globale Herausforderung.
Wie wichtig ist das Thema für Sie?
Ich war ja Kriegsflüchtling, war wegen des Vietnamkriegs im Waisenhaus. Meine deutschen Eltern sagten sich 1973: «Uns geht es gut, wir haben zwei Kinder, wir adoptieren ein Drittes.» Diese Biografie erleichtert es mir, über das Thema zu reden.
Ich möchte über den Liberalismus reden…
… das finde ich sehr gut…
… was ist ein guter Liberaler?
Der versucht das gar nicht erst zu definieren. Denn er würde dann den Anspruch erheben, dass die anderen so sein müssen wie er.
Versuchen Sie es trotzdem.
Es gehört Toleranz dazu. Man muss den eigenen Verstand einsetzen. Möglichst auf eigene Verantwortung setzen, selten den Staat um Hilfe rufen. Verantwortung gegenüber jenen zeigen, die das nicht können.
Die Gesellschaft wird aber an den Rändern ständig extremer. Warum findet die vernünftige Mitte immer weniger Rückhalt?
Wir Liberalen haben es oft schwer richtige Antworten aus der Mitte zu geben. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken diejenigen zu bekämpfen, die an den Rändern extreme Antworten geben. Wir müssen besser antworten. Das Vertrauen gewinnen wir durch Erklären und Aufklären. Das ist ein mühevoller Weg, aber der einzig richtige und erfolgreiche.
Sie verloren im Herbst 2013 die Wahlen. Ihre FDP flog aus dem Bundestag. Wie erholen Sie sich von dieser herben Niederlage?
Man muss die Verantwortung übernehmen, das habe ich getan. Das Hinfallen ist nicht das schlimme, sondern das Liegenbleiben. Ich bin nicht liegen geblieben. Ich bin hier wieder aufgestanden.
Ihnen wird die Schuld gegeben. Zurecht?
Sind Sie Parteivorsitzender und Ihre Partei erhält ein solches Ergebnis, dann sind Sie verantwortlich. Sie müssen diese Verantwortung übernehmen – ohne Wenn und Aber. Das habe ich mit Anstand getan.
Schliessen Sie eine Rückkehr in die Politik aus?
Ja, ganz klar.
Sie sind Katholik und glauben an die Auferstehung. Sie erleben Ihre Dritte.
Es waren nie Auferstehungen. Ich war Arzt bei der Bundeswehr, dann bin ich gewählt worden, wurde Politiker. Dann waren die Wahlen wie sie waren. Jetzt bin ich beim Forum.
Woher rührt der Drang, sich stets neu zu erfinden?
Ich habe alles immer parallel gemacht. Während des Medizinstudiums bin ich in die Politik eingestiegen, und auch während der Politik war ich dem Militär verbunden.
Was wollen Sie noch werden?
Ich bin da angekommen, wo ich hingehöre. Und sehr zufrieden.
Was machen Sie in Davos?
Ich werde die Gespräche mit vielen Staatschefs moderieren – und bilateral Gespräche führen.
Sie sind ein Deutscher, kamen in Vietnam als Kind von Vietnamesen zur Welt. Wie sehr prägt Sie das?
Eigentlich hat mich das nicht geprägt, bis der «Spiegel» mich dazu befragte. In diesem Magazin sah ich 2003 erstmals ein Bild des Heims mit den katholischen Nonnen. Das war schon beeindruckend.
Und vorher?
Hat das nie eine Rolle gespielt. Ausser das ich ein bisschen anders aussehe als die meisten Deutschen. Das sieht man.
Sie bereisten Vietnam erst im Alter von 33. Warum?
Vorher hatte ich nie das Bedürfnis, es ist ein schönes Land, das mich aber nie bewegt hat. Dann sagte meine Frau, «jetzt fahren wir hin, für den Fall, dass wir Kinder kriegen – und sie fragen, wo kommst du denn her?»
Welche Bedeutung hat Vietnam für Sie?
Es ist ein wunderschönes Land. Mich beeindruckt: die Menschen finden es toll, dass einer von ihnen diesen Weg gemacht hat. Für viele ist das eine Motivation. Die will ich ihnen nicht nehmen. Dieses Jahr ist eine Delegation aus Vietnam in Davos, darauf freue ich mich.
Was macht es mit Ihnen, die leiblichen Eltern nicht zu kennen?
Nichts. Ich kam mit 9 Monaten nach Deutschland. Mein Vater ist immer mein Vater gewesen. Wer einen Vater hat, braucht keinen Vater zu suchen.
Asiaten vertragen keinen Alkohol. Wie überlebt man da die vielen Partys in Davos?
Trinke ich, habe ich einen Kater, aber keinen Rausch. Da lass ich es lieber bleiben. In Davos gibt es sowieso deutlich weniger Parties als man gemeinhin denkt. Davos ist knallharte Arbeit. So geht es fast allen Besuchern. Da braucht es vor allem viel Kaffee.