Peking verdreht die Geschichte
Mao wollte Taiwan anfangs gar nicht

Chinas Kommunistische Partei stellt den Taiwan-Konflikt als nationale Schicksalsfrage dar: Die «Vereinigung» sei historische Aufgabe der Partei, heisst es im jüngsten Taiwan-Weissbuch. «Taiwan gehört seit dem Altertum zu China.»
Publiziert: 26.08.2022 um 12:28 Uhr
ARCHIV - Der damalige chinesische Staatsführer Mao Tse-Tung im Jahr 1967. Foto: UPI/dpa
Foto: UPI

Tatsächlich datiert der heutige Pekinger Anspruch auf die Jahre nach 1943. Zuvor sprachen sich Mao Tsetung und weitere Spitzenfunktionäre der KP für die Unabhängigkeit der Insel aus, wie in Parteidokumenten festgehalten und von Wissenschaftlern in Taiwan, Japan, den USA und Deutschland dokumentiert ist. Kein Beleg lässt sich hingegen für die Behauptung finden, dass Taiwan seit dem Altertum zu China gehöre.

Ursprünglich galten die Taiwaner der chinesischen KP als ebenso eigenständiges Volk wie die Koreaner, beide damals unter japanischer Kolonialherrschaft. «Es ist Chinas unmittelbare Aufgabe, alle unsere verlorenen Gebiete zurückzugewinnen», sagte Mao Tsetung 1936 dem US-Journalisten Edgar Snow. «Wir schliessen Korea jedoch nicht ein.»

Wenn die Koreaner die Ketten des japanischen Imperialismus sprengen wollten, «werden wir ihnen enthusiastische Hilfe in ihrem Kampf für Unabhängigkeit leisten», sagte Mao. «Das Gleiche gilt für Formosa» - Snow verwendete in der Übersetzung den damals im Westen üblichen Namen Taiwans.

Der US-Journalist stand der Partei nahe, die autorisierten Zitate finden sich in dem 1937 erschienenen Buch «Red Star over China». Im selben Jahr marschierten japanische Truppen auf breiter Front in China ein. Noch klarer formulierte Mao 1938 in einem Bericht an seine Partei: «Der japanische imperialistische Angriffskrieg bedroht und verletzt nicht nur das chinesische Volk, sondern auch Japans Soldaten und Volk, ebenso Korea, Taiwan und andere unterdrückte Völker.» Die chinesische KP müsse den «Völkern Koreas und Taiwans das Prinzip der Vereinten Front gegen die Invasion vorschlagen».

Die chinesische Botschaft in Berlin bestritt auf Anfrage, dass Mao oder die KP Taiwan jemals als eigene Nation betrachtet oder eine Unabhängigkeit der Insel befürwortet hätten. «Die Kommunistische Partei Chinas hat die Lösung der Taiwan-Frage und die Verwirklichung der vollständigen Wiedervereinigung des Mutterlandes immer als ihre unerschütterliche historische Aufgabe betrachtet», hiess es in der Stellungnahme.

Die historischen Quellen lassen allerdings keinen Zweifel. Wissenschaftlich dokumentiert und belegt wurden die ursprüngliche Position der KP und Maos in den 1960er und 1970er Jahren unter anderem vom taiwanischen Historiker Shi Ming, den US-Sinologen Frank Hsiao und Lawrence R. Sullivan sowie dem deutschen China-Wissenschaftler Jörg-Meinhard Rudolph in seiner 1986 erschienen Dissertation: «Die Kommunistische Partei Chinas und Taiwan 1921 - 1981». Bis etwa 1947 sei Sicht der KP-Führung gewesen, dass Taiwan ein unabhängiger Staat sein sollte, sagte Rudolph auf Anfrage.

Getreue Übersetzungen Maos chinesischer Originaltexte inklusive der heute von Peking dementierten Passagen finden sich darüber hinaus in dem achtbändigen Riesenwerk «Mao's Road to Power: Revolutionary Writings 1912 - 1949» des US-Atomphysikers und Sinologen Stuart Schram.

Im Widerspruch zu den historischen Quellen steht auch die Behauptung, dass Taiwan seit dem Altertum zu China gehöre. In das Kaiserreich eingegliedert wurde ein Teil Taiwans erstmals 1683 - nicht von einer chinesischen Dynastie, sondern dem nordasiatischen Volk der Mandschuren, die ganz China, die Mongolei sowie Teile Nord- und Zentralasiens erobert und die Qing-Dynastie gegründet hatten. Von Peking aus regierten die Mandschu ihr Riesenreich bis 1911.

Die erste umfassende chinesische Abhandlung über die Insel verfasste der kaiserliche Beamte Jiang Minying um das Jahr 1687: «Taiwan war im Altertum ein Ort unzivilisierter Wilder», heisst es zu Beginn. Jiang schilderte sodann, dass im 15. Jahrhundert der berühmte chinesische Admiral Zheng He auf seinen Fahrten durch die Weltmeere Taiwan links liegen liess - «weil die Barbaren unbelehrbar waren».

Zheng He gelangte bis nach Indien und Arabien, das von Kopfjägern bewohnte Taiwan war aus chinesischer Perspektive uninteressant. Spätere kaiserliche Chronisten hielten im 18. Jahrhundert fest, dass der Name «Taiwan» auf eine kurzlebige holländische Kolonie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückging und es zuvor keine Verkehrsbeziehungen zu China gegeben hatte.

Nach 1683 waren Teile Taiwans 200 Jahre eine ewig unruhige Kolonie der Qing, Tummelplatz für Kopfjäger, Piraten, Räuber und Abenteurer. Unter Kontrolle der kaiserlichen Verwaltung stand nach den Berichten westlicher Diplomaten lediglich ein Drittel der Insel. 1895 presste Japan dem Kaiserreich nach einem kurzen Krieg Taiwan ab.

Ein knappes halbes Jahrhundert später setzte die chinesische Nationalregierung unter «Generalissimo» Chiang Kai-Shek auf der Konferenz von Kairo 1943 durch, dass Taiwan nach der Niederlage Japans an China gehen solle.

Erst ab diesem Zeitpunkt interessierten sich auch Mao und die KP für die Insel. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs flammte der Bürgerkrieg gegen Chiangs Nationalpartei Kuomintang (KMT) wieder auf, der 1949 mit der Flucht des Militärregimes nach Taiwan endete. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten Mao und die Spitze der chinesischen KP ihre Sicht geändert, meint Rudolph.

Von den USA protegiert träumte Chiang in Taipeh von der «Rückeroberung des Festlands». Die KP wiederum plante die «Befreiung Taiwans» als letzten fehlenden Schritt zum Sieg im Bürgerkrieg. Das seit Mitte der 1990er Jahre demokratische Taiwan hat die Ansprüche des früheren KMT-Regimes längst aufgegeben, während die KP ihre Drohungen gegen die Insel verschärft.

Vor Gründung der Volksrepublik war Chinas KP durchaus zu Verzicht in der Lage: So akzeptierte die Partei klaglos den Verlust der Mongolei, die Teil des Qing-Reichs gewesen war, sowie die endgültige Abtretung weiterer grosser Gebiete im Norden und Westen an die Sowjetunion. Diese Territorien beansprucht Peking heute nicht mehr.

(SDA)

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