Seit dem Tod von Wagner-Söldnerchef Jewgeni Prigoschin (†62) im August scheinen sich dessen Paramilitärs weitgehend aus dem Kampfgeschehen in der Ukraine zurückgezogen zu haben. Wagner ist nicht die einzige russische Privatarmee, die sich im Ukraine-Dienst mit dem Kreml zu überwerfen droht. Auch in der russischen Neonazi-Gruppe Russitsch, die ebenfalls an der Front kämpft, macht sich jetzt eine stärkere Kreml-feindliche Stimmung breit.
Unlängst drohte Russitsch dem Kreml mit dem Niederlegen all ihrer Waffen, was Militärbeobachtern zufolge die russischen Verluste in den betroffenen Frontgebieten noch erhöhen würde. Russitsch-Einheiten hielten Stellungen bei Robotyne im Süden, das die Ukraine eben zurückeroberte.
Der Grund für den Zorn der Paramilitärs: Ihr Anführer Jan Petrowski (35), ein russisch-norwegischer Doppelbürger, war in Finnland verhaftet worden. Dort hatte er unter falschem Namen einzureisen versucht. Jetzt droht Petrowski wegen verschiedener Terrorismusvorwürfe die Auslieferung an die Ukraine. Seine Kampfgenossen sind verärgert darüber, dass sich der Kreml nicht um seine Auslieferung nach Russland bemüht – wie 2016, als Petrowski in Norwegen verhaftet und nach Russland deportiert worden war.
Petrowski, der unbekanntere Prigoschin
Petrowski und Prigoschin sind Weggefährten. Beide waren 2014 Kampfpioniere bei Russlands Einmarsch in den Donbass, wozu sie ihre Kampfgruppen gründeten – beide in St. Petersburg. Selber bezeichnet sich Russitsch als Aufklärungsgruppe für Sabotageangriffe.
Der frühere enge Putin-Vertraute und spätere Aufrührer Prigoschin starb Ende August unter mysteriösen Umständen bei einem Flugzeugabsturz. Petrowski droht jetzt die jahrzehntelange Versenkung in Haft, während seine Kämpfer von zermürbenden Problemen an der Front berichten.
Am 8. September veröffentlichte Russitsch eine Mängelliste, weshalb die Ukraine im Krieg die Oberhand zu gewinnen drohe. So seien Reichweite und Genauigkeit des russischen Gegenfeuers den ukrainischen Fähigkeiten unterlegen. Auch würden die russischen Einheiten über keine lasergesteuerten Artilleriegranaten und Drohnen verfügen.
Kreml lasse Soldaten im Stich
Russitsch kritisiert laut dem jüngsten Bulletin des Institute for the Study of War (ISW) zudem, dass russische Präzisionsraketen weniger widerstandsfähig gegen Störsender seien als die von den USA gelieferten Himars-Systeme der Ukraine.
Zudem würden viele russische Soldaten ihre eigenen Kommunikationsgeräte kaufen. Das erschwere die Kommunikation zwischen verschiedenen Einheiten wegen unterschiedlicher Technologiemodelle.
Schliesslich behaupten die paramilitärischen Freischärler – und das klingt wie von Prigoschin geäusserte Kritik –, dass die russischen Streitkräfte verwundete oder tote Soldaten nicht aus den Frontgebieten evakuieren. Dieses Ignorieren der eigenen Krieger habe einige russische Soldaten dazu veranlasst, den Kampfdienst zu verweigern.
«Routinemässige» Probleme
Die Russitsch-Einheiten mögen von diesen Problemen stärker betroffen sein als die russischen Streitkräfte, analysiert das ISW, weil es sich um kleinere Verbände handle.
Aber auch andere russische Streitkräfte, so die Analyse, würden «routinemässig» ähnliche Probleme mit Gegenfeuer, Kommunikation und Evakuierungen äussern. (kes)