Die EU-Kommission hat als Reaktion auf die umstrittene Moskau-Reise von Ungarns Regierungschef Viktor Orban (61) einen Boykott der informellen Treffen unter ungarischem Ratsvorsitz angekündigt. Angesichts «der jüngsten Entwicklungen» habe Kommissionschefin Ursula von der Leyen (65) entschieden, dass die Kommissare und Kommissarinnen nicht zu den Treffen nach Ungarn reisen, sagte ihr Sprecher Eric Mamer am Montag. Ungarische Politiker kritisierten die Entscheidung.
Die EU-Kommission werde bei den informellen Treffen, die bis Ende des Jahres in Ungarn geplant sind, nur auf hoher Beamtenebene vertreten sein, erklärte Mamer. Auch die aus terminlichen Gründen bereits einmal verschobene und nun für September angesetzte Sitzung des Kommissionskollegiums in Ungarn werde nicht stattfinden, erklärte er.
Findet EU-Aussenminister-Treffen ebenfalls nicht statt?
Ein für August in Budapest geplantes Treffen der EU-Aussenminister könnte ebenfalls boykottiert werden. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell (77) könnte die Minister von einer Reise nach Ungarn abhalten, indem er zur gleichen Zeit ein anderes Treffen in Brüssel einberuft, erklärten mehrere Diplomaten in Brüssel.
Orban hatte die EU-Partner direkt zu Beginn des ungarischen Ratsvorsitzes ab dem 1. Juli mit einer selbst ernannten «Friedensmission» im Ukraine-Krieg massiv verärgert. Orban besuchte neben Russlands Präsident Wladimir Putin (71) und Ex-US-Präsident Donald Trump (78) auch den chinesischen Staatschef Xi Jinping (71).
Ungarns Minister für europäische Angelegenheiten, Janos Boka, kritisierte den Boykott. Die Kommission könne sich nicht aussuchen, mit welchen EU-Mitgliedstaaten sie zusammenarbeiten wolle, erklärte er im Onlinedienst X. «Werden von nun an alle Entscheidungen der Kommission politisch motiviert sein?», fragte er.
«Seltsame Reiseziele»
Die Europaabgeordnete Kinga Gal von Orbans Regierungspartei Fidesz warf von der Leyen vor, das Thema zu nutzen, um sich Stimmen für eine zweite Amtszeit zu sichern. «Dies ist inakzeptabel und widerspricht dem Wesen der europäischen Zusammenarbeit», kritisierte sie.
Auch deutsche Minister hatten zuvor bereits einen Boykott von Ungarn-Reisen in Erwägung gezogen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte am Montag in Brüssel, er schaue sich «sehr genau an», ob er zu einem EU-Treffen nach Ungarn fahre, und machte seine Teilnahme an einem informellen EU-Agrarministertreffen vom 8. bis 10. September davon abhängig, «wie die künftige Ratspräsidentschaft Ungarns läuft». Nach seinen Worten haben die «seltsamen Reiseziele» Orbans «Zweifel» bei den Partnern geweckt.
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner sagte am Rande eines EU-Finanzministertreffens in Brüssel, er werde womöglich nicht nach Ungarn fahren, wo am 13. und 14. September ein informeller Finanzministerrat angesetzt ist. Dies falle «genau in die Haushaltswoche» in Berlin, in der er im Bundestag sprechen werde, betonte Lindner.