Die Türkei wählt am Sonntag einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament (07.00 Uhr bis 16.00 Uhr MESZ). Rund 64 Millionen Wahlberechtigte sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Der seit 20 Jahren - zunächst als Ministerpräsident und seit 2014 als Präsident - regierende islamisch-konservative Staatschef Recep Tayyip Erdogan könnte abgewählt werden. Sein Herausforderer, der Sozialdemokrat Kemal Kilicdaroglu, liegt mit einem Bündnis aus sechs Oppositionsparteien in den Umfragen vor Erdogan.
Die Opposition will bei einem Wahlsieg mit dem zunehmend autoritären Kurs von Erdogan brechen. Kilicdaroglu hat eine Rückkehr zur Demokratie versprochen, so will er politische Gefangene nach einem Machtwechsel freilassen. Neuer Präsident wird, wer im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt. Schafft dies keiner der Kandidaten, treten die zwei Bestplatzierten am 28. Mai in einer Stichwahl gegeneinander an.
Wut im Erdbebengebiet
Wäre die südtürkische Stadt Antakya ein Stimmungsbarometer für die Wahl am Sonntag, sähe es schlecht aus für Präsident Recep Tayyip Erdogan. In der durch das schwere Erdbeben im Februar weitgehend zerstörten Stadt äussern sich am Sonntag viele Einwohner frustriert über das Krisenmanagement des Präsidenten. «Ich werde ihn nicht noch einmal wählen, selbst wenn er mein Vater wäre», sagt der Landwirt Mehmet Topaloglu in einem Wahllokal in Antakya. «Wir brauchen Veränderung. Wir haben genug»
Semra Karakas und ihre 23-jährige Tochter Aylin mussten eine 14-stündige Busfahrt auf sich nehmen, um wählen zu können - das verheerende Erdbeben der Stärke 7,8 in der Nacht zum 6. Februar zwang sie, sich in der Küstenstadt Antalya niederzulassen. Die Architekturstudentin Aylin Karakas glaubt, dass die Unterstützung für den konservativen Erdogan in der Provinz Hatay, in der Antakya liegt, bei der Wahl «stark zurückgehen» wird.
«Der Staat ist uns nicht zur Hilfe gekommen. Sie sind erst drei oder vier Tage später gekommen», erinnert sie sich an die verschleppte Reaktion des Staates auf die Katastrophe mit mehr als 50.000 Todesopfern. Da falle ihr die Entscheidung zwischen Erdogan und seinem säkularen Rivalen Kemal Kilicdaroglu nicht schwer, sagt Aylin.
Die 35-jährige Medizinerin Deryer Deniz lebt seit der Tragödie in beengten Verhältnissen in einem Zelt. Ob es für Erdogans Herausforderer reichen wird, mag sie nicht einschätzen, aber: "Wenn die Regierung stürzt, wird Hatay seine Rolle dabei gespielt haben".
(AFP)