Opioide gingen «weg wie warme Semmeln»
Amerika macht Pharmariesen den Prozess

Amerikas Opioid-Epidemie hat schon 220'000 Menschenleben gefordert. Eine Sammelklage in Ohio, die «Mutter aller Zivilprozesse», will Schuldige finden und zu Rekordstrafen verurteilen.
Publiziert: 23.07.2019 um 11:40 Uhr
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Aktualisiert: 23.07.2019 um 12:20 Uhr
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Opiate-Epidemie in den USA: Eddie Davis beim Grab seines Sohnes Jeremy in Coalton, Ohio. Jeremy starb am 17. Juli an einer Opioid-Überdosis.
Foto: Keystone

Die Worte des damaligen britischen Premiers Tony Blair (66) sind unvergessen. Der Krieg gegen Afghanistan, so Blair, sei auch eine Antwort auf die Heroinflut, die den Westen aus dem Hindukusch überschwemme und auf Europas und Amerikas Strassen Menschenleben fordere.

Trotz Krieg: Heute scheint Amerika in einer Opioid-Epidemie, die das Land erfasst hat, sich selbst der grösste Feind zu sein. Heroin ist das bekannteste Opioid. Es gibt zahlreiche industriell hergestellte Opioide wie die Medikamente Oxycodone und Hydrocodone, die in den USA massenweise als Schmerzmittel verschrieben werden – und auch auf dem Schwarzmarkt leicht erhältlich sind.

Drittgrösste Epidemie in Amerikas Geschichte

Synthetische Opioide sorgen für die drittgrösste Epidemie in der Geschichte der USA. Nur die Spanische Grippe 1918 und die Aids-Epidemie mit jeweils fast einer halben Million Opfer forderten mehr Menschenleben.

Den Herstellern und Lieferanten von solchen Opioiden macht Amerika jetzt den Prozess: In Oklahoma hat die Staatsanwaltschaft den Pharmagiganten Johnson & Johnson, der Opioid-Schmerzmittel für den Massenmarkt herstellte, auf 17 Milliarden Dollar verklagt.

Jetzt rückt auch eine Zivilklage in Ohio näher, die noch höhere Geldstrafen fordern soll. Wie neu veröffentlichte Dokumente aufzeigen, haben zwischen 2006 und 2012 sechs Unternehmen 76 Milliarden Oxycodone- und Hydrocodone-Pillen vertrieben, rund drei Viertel aller Opioid-haltigen Präparate.

Pillen gingen weg wie warme Semmeln

In gewissen Gebieten wurden damit während sieben Jahren jeden Tag mehr als 100 Pillen pro Anwohner verteilt. Ohio will die Schuldigen finden. Denn im Gleichschritt zur Epidemie schnellten die  Profite von drei Unternehmen hoch, die rund 90 Prozent der Opioid-Schmerzmittel herstellen. Nicht nur in Städten gab es immer mehr Süchtige. Die Pillen überschwemmten vorab auch ländliche Gebiete.

Kläger in Ohio sind zwei Bezirke, die zwar nicht zu den schlimmsten Epidemiegebieten zählen, mit der Sammelklage aber den Zorn aufzeigen, der im Land gegen die Pharmakonzerne herrscht. Opioid-Liefermengen wurden ständig gesteigert, die Pillen gingen «weg wie warme Semmeln», zitiert die «NZZ» einen Vertreter. «Fast, wie wenn die Leute süchtig danach wären. Ah, Moment ... sind sie ja.»

Prominente Namen auf Anklagebank

Hinweise, dass die Pillen süchtig machen, wurden aus Profitgier missachtet. Laut Klägern wurden auch riesige Mengen von Schmerzmitteln nicht an Patienten verkauft, die diese wirklich benötigten – sie landeten vielmehr auf dem noch lukrativeren Schwarzmarkt. Je besser der Standort war – etwa an einem Highway oder hinter einem Einkaufszentrum –, desto mehr Pillen wurden verkauft.

Nun sollen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Noch immer sterben in den USA jeden Tag rund 100 Menschen an einer Opioid-Überdosis. Auf der Anklagebank in Ohio sitzen so bekannte Namen wie die Drogeriekette Walgreens, der Handelsriese Walmart sowie die beiden grössten Hersteller von Opioid-Schmerzmitteln, Purdue Pharma und Mallinckrodt Pharmaceuticals. (kes)

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