«Fernsehen kann Krieg, aber auch Frieden bringen»
1:18
Olha Petriv bei Blick TV:«Fernsehen kann Krieg, aber auch Frieden bringen»

Olha Petriv erlebt die Schweiz
«Ukrainer wissen nichts von Anmeldung auf der Gemeinde»

Nach wochenlanger Flucht ist Olha Petriv (36) in der Schweiz angekommen. Zuerst kämpfte sie mit Schamgefühlen – jetzt hilft sie ihren Landsleuten.
Publiziert: 23.05.2022 um 13:46 Uhr
|
Aktualisiert: 23.05.2022 um 17:03 Uhr
1/7
Olha Petriv (36) ist in die Schweiz geflohen.
Foto: Philippe Rossier

Im Frieden eingeschlafen – und im Krieg wieder erwacht: So beschreibt die ukrainische TV-Journalistin Olha Petriv (36) den Krieg in der Ukraine. Wochenlang ist sie mit ihrer Schwester Iryna (41) und deren Kindern Sophia (13) und Kyle (10) auf der Flucht. Petrivs Freund holt sie schliesslich in die Schweiz.

In den Tagen nach der Ankunft plagen die Journalistin allerdings Gewissensbisse. Ständig ist Petriv mit der Familie und Freunden in der Ukraine in Kontakt. Was, wenn ihnen etwas passiert? Was, wenn sie geblieben und geholfen hätte? Hätte sie überhaupt helfen können? Die Gewissensbisse nehmen zu. «Danach kam plötzlich ein anderes Gefühl: Scham. Ich habe mich richtig geschämt», erzählt Petriv. «Ich habe mich schlecht gefühlt, weil ich mein Land im Stich gelassen habe. Viele meiner Freunde sind geblieben, nur ich bin gegangen. Ich habe mich wie ein Feigling gefühlt.»

«Explosionen weckten mich - dann verkündete Putin den Krieg»
4:45
Flucht in die Schweiz:«Explosionen weckten mich - dann verkündete Putin Krieg»

Das Gefühl bleibt, über Tage. Petriv blickt ständig auf ihr Handy, will wissen, was los ist. «Wenn du plötzlich in einem sicheren, reichen Land wie der Schweiz bist und weisst, dass deine Freunde ein paar tausend Kilometer von dir gegen den Feind kämpfen, ist das schwierig zu akzeptieren. Ich habe mich vielfach gefragt, weshalb ich gegangen bin. Ich habe keine Kinder, die ich in Sicherheit bringen wollte. Trotzdem bin ich weg.» Petriv ist überzeugt: «Wenn meine Eltern und mein Freund nicht insistiert hätten, dass ich das Land verlasse, wäre ich noch immer in der Ukraine.»

Hilfsbereitschaft ist gross – wenn nicht die Sprachbarriere wäre

Petriv kennt die Schweiz bereits. Immer wieder besuchte sie ihren Freund in Adliswil ZH. Doch die Annehmlichkeiten habe sie nie so geschätzt wie dieses Mal, sagt sie. «Ein reiches Land, mit sauberem Wasser, frischen Esswaren und einer so hohen Lebensqualität – so etwas schätzt man erst, wenn man weiss, wie es anderswo ist.»

Seit mehr als einem Monat lebt Petriv mittlerweile in Adliswil. Die Gefühle haben sich verändert, die Scham ist weg. Dafür verantwortlich seien auch die Einheimischen: «Die Unterstützung hier in der Schweiz ist an jeder Ecke spürbar. Die Leute helfen uns, die Sprache zu lernen, sie helfen uns beim Einkaufen von Esswaren oder Kleidern. Ich erlebe eine unglaubliche Hilfsbereitschaft im Land», sagt sie. Überall sehe sie ukrainische Flaggen, höre die ukrainische Sprache. «Das hilft enorm: Ich weiss jetzt, dass ich nicht alleine bin.»

«Viele Menschen wurden vor meinen Augen umgebracht»
3:39
Blick-Journalistin Olha Petriv:«Viele Menschen wurden vor meinen Augen umgebracht»

Jetzt will sie helfen

Trotzdem spüre sie immer wieder Ratlosigkeit. Die Leute seien überfordert, wüssten sich nicht zu helfen. «Die Ukrainer wissen nicht, dass sie sich auf ihrer Gemeinde anmelden müssen oder dort Formulare für finanzielle Unterstützung erhalten. Sie wissen nicht, wie man ein Bankkonto eröffnet.» Ein grosses Problem sei die Sprachbarriere. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer würden kein Englisch sprechen. Das erschwere die Kommunikation extrem.

Deshalb hat Petriv das Heft in die Hand genommen und anderen Landsleuten geholfen. «Zwei Frauen aus Butscha brauchten Hilfe, weil ihre Brillen kaputt gingen – also bin ich mit ihnen zum Optiker gegangen.» In der Schweiz gelte das ungeschriebene Gesetz, dass man nichts erhalte, wenn man nicht frage. «Deswegen müssen Ukrainer lernen, ihren natürlichen Stolz zu überwinden und einfach zu fragen. Dann erhalten sie auch Hilfe.»

Gemeinsam mit Blick TV erklärt Olha Petriv nun ihren Landsleuten die Schweiz. Zwei Mal pro Woche zeigt sie den Ukrainerinnen und Ukrainern die Abläufe und Möglichkeiten. «Darauf freue ich mich sehr. Ich bin sehr motiviert, aber es ist eine grosse Aufgabe», sagt sie. «Ich bin überzeugt, dass wir vielen Ukrainern helfen können, sich in der Schweiz zurechtzufinden und hier Fuss zu fassen. Meine Aufgabe ist es, meinen Landsleuten zu helfen. Das will ich nun angehen – so gut es geht.»

«Olha erklärt die Schweiz» – das neue Format auf Blick TV

Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine sind bereits in die Schweiz eingereist. Viele von ihnen kommen direkt aus dem Krieg, haben Leid und Not miterlebt. In ihrer neuen Heimat fehlt die Orientierung: Wie komme ich an Essen? Wie erhalte ich finanzielle Unterstützung, kann ich ein Bankkonto eröffnen oder eine SIM-Karte kaufen? Und wie funktioniert das mit den Behörden? Bei wem muss ich welches Formular einreichen, um unter dem Schutzstatus S aufgenommen zu werden? Im neuen Blick-TV-Format «Olha erklärt die Schweiz» bringt die ukrainische TV-Journalistin Olha Petriv (36) zweimal pro Woche geflüchteten Menschen das Land näher –einfach, unkompliziert und in ukrainischer Sprache.

Philippe Rossier

Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine sind bereits in die Schweiz eingereist. Viele von ihnen kommen direkt aus dem Krieg, haben Leid und Not miterlebt. In ihrer neuen Heimat fehlt die Orientierung: Wie komme ich an Essen? Wie erhalte ich finanzielle Unterstützung, kann ich ein Bankkonto eröffnen oder eine SIM-Karte kaufen? Und wie funktioniert das mit den Behörden? Bei wem muss ich welches Formular einreichen, um unter dem Schutzstatus S aufgenommen zu werden? Im neuen Blick-TV-Format «Olha erklärt die Schweiz» bringt die ukrainische TV-Journalistin Olha Petriv (36) zweimal pro Woche geflüchteten Menschen das Land näher –einfach, unkompliziert und in ukrainischer Sprache.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?