Der 50-jährige Kern, seit 2010 Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), war zuletzt vor 20 Jahren in der Politik, unter anderem als Pressesprecher des damaligen SPÖ-Fraktionsvorsitzenden. Erfahrung in höheren politischen Ämtern hat er nicht.
Kern folgt auf Werner Faymann, der nach innerparteilicher Kritik zurückgetreten war. In Faymanns fast achtjähriger Amtszeit hatten die Sozialdemokraten bei 19 von 21 Wahlen Stimmen verloren.
Der SPÖ-Bundesvorstand muss die Personalie Kern am kommenden Dienstag offiziell billigen. Einen Tag später soll er von Bundespräsident Heinz Fischer als 13. Bundeskanzler nach 1945 vereidigt werden.
Zu Fragen der Asylpolitik und zum Umgang der Sozialdemokraten mit der rechten FPÖ hat sich Kern bisher noch nicht geäussert. Zu diesem Punkt gab Kerns Konkurrent, Gerhard Zeiler, erste Hinweise. Der ehemalige ORF-Chef erklärte in einem Interview in der Nachrichtensendung «ZiB2», die SPÖ solle die FPÖ nicht wie bisher kategorisch auf Bundesebene als Partner ausschliessen, sondern an ihren Inhalten messen.
Zentraler Punkt sei die Einstellung der Rechtspopulisten zur EU. «Eines ist klar, es wird niemand in der Sozialdemokratie eine Koalition mit einer FPÖ machen, die sich nicht voll und ganz zu Europa bekennt.»
Zeiler erklärte, er habe gemeinsam mit Kern seit langem auf die Absetzung von Faymann hingearbeitet. Er werde Kern, mit dem er in engsten Kontakt stehe, voll unterstützen.
Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner steht dem neuen Mann an der Spitze der Regierung positiv gegenüber. «Wir könnten nicht schlecht zusammenpassen. Ich bin ebenfalls ein Organisationstyp, habe bestimmte Erfahrungswerte und hoffe, dass wir uns gut ergänzen», sagte Mitterlehner den «Salzburger Nachrichten» (Freitag). An Neuwahlen denke er in diesem Moment nicht. «Ich gehe davon aus, dass wir die vielzitierte letzte Chance vor uns haben», meinte Mitterlehner.
Die Arbeit der rot-schwarzen Koalition wird seit ihrem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren von vielen Bürgern mit Unmut verfolgt. Beide Parteien kommen in Umfragen nur noch auf 22 und 21 Prozent. Tiefpunkt war das erstmalige Scheitern der Kandidaten von SPÖ und ÖVP bei der ersten Runde der Wahl zum Bundespräsidenten am 24. April mit nur jeweils elf Prozent.
Ob die Personalie sowie die erwartete Regierungsumbildung auch Einfluss auf die Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten am 22. Mai haben könnte, ist unklar. Die rechte FPÖ, deren Kandidat Norbert Hofer die erste Runde mit 35,1 Prozent haushoch gewonnen hatte, hatte auch vom Ärger der Bürger über Faymann profitiert. Am 22. Mai ist sein Herausforderer der Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, der 21 Prozent der Wähler hinter sich hatte.