Obwohl sie kaum über moderne Medikamente verfügt
Alma Mekic lässt bosnische Krebspatienten wieder hoffen

In Bosnien greifen bösartige Tumore um sich. Neue Substanzen könnten helfen – sind für das arme Land aber zu teuer.
Publiziert: 06.11.2017 um 22:33 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 05:25 Uhr
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Alma Mekic-Abazovic: «Wir haben noch einen langen Weg vor uns.»
Foto: Sinisa Pasalic
Cyrill Pinto

Die bosnische Stadt Zenica, etwa 115'000 Einwohner, liegt im Morgennebel. Dutzende von Patienten warten bereits vor dem Eingang des Kantonsspitals. Sie wollen in die Onkologie, die Krebsabteilung. Deren Chefin Alma Mekic-Abazovic (47) bahnt sich einen Weg durch die Wartenden und betritt einen langen Gang. Links und rechts gehen Behandlungszimmer ab – alle sind voll belegt. «Guten Morgen!», sagt die Oberärztin, als sie einen der Räume betritt. In den Betten liegen Patienten und erhalten ihre Chemotherapie.

Einer von ihnen ist der 59-jährige Omer Hodzic. 2015 verspürte der Mann aus Zenica ein Ziehen im Unterleib: «Als mich die Ärztin nach der Untersuchung bat, mich hinzusetzen, wusste ich, es ist etwas Schlimmes.» Diagnose: Blasenkrebs.

Bei der Operation stellte sich heraus, dass auch die linke Niere vom Krebs befallen war. Zwei Jahre sind seitdem verstrichen. Die Metastasen haben Hodzics Knochen erreicht: «Manchmal sind die Schmerzen so stark, dass ich lieber sterben würde.»

Die Industrie ist fast am Boden

Zenica, das Zentrum der bosnischen Schwerindustrie, liegt eine Autostunde nordwestlich von Sarajevo. Im Stahlwerk, das heute ­einem grossen Konzern gehört, arbeiteten vor dem Krieg Zehntausende – heute sind es 2200.

Die Industrie ist Fluch und Segen zugleich. Jährlich nehmen die Krebsfälle um 20 bis 50 Prozent zu. Dies auch, weil die Onkologen in der Region mit neuen Diagnosemitteln die Tumore überhaupt erkennen. 6200 Patienten behandelten Alma Mekic und ihr Team allein in diesem Jahr, 2016 waren es 4700. In anderen Regionen sind Brust- und Lungenkrebs die häufigsten Tumore, in Zenica erkranken die Menschen an Leber-, Blasen- oder Hodenkrebs. Studien wiesen hohe Konzentrationen von krebserregenden Stoffen in Luft und Wasser nach.

2002, sieben Jahre nach Kriegsende (siehe Box), begann die in Belgrad ausgebildete Ärztin in ­ihrer Heimatstadt mit dem Aufbau einer Krebsabteilung. Zunächst bildete sich Mekic zur Onkologin weiter, dann beantragte sie Fördergelder: «Dreieinhalb Jahre musste ich auf den Entscheid der Regierung warten, dann erhielt ich die Antwort – sie lautete Nein.»

Doch Aufgeben war für Mekic keine Alternative. Ihre Pläne realisierte sie mit Hilfe örtlicher Politiker und der italienischen Metropole Turin. Am Anfang waren sie zu zweit, heute beschäftigt das Kantonsspital acht Krebsspezialisten.

Genaue Kontrollen

Worauf sie besonders stolz sind: Die Abteilung ist von den strengen europäischen und US-Zulassungsbehörden für medizinische Testreihen zugelassen. «Um sie durchführen zu können, braucht es westliche Standards für Ausbildung und medizinische Praxis», erklärt Mekic. Zurzeit laufen in ihrer Onkologie drei Studien mit je zehn Teilnehmern. Für die ist es oft die einzige Möglichkeit, mit modernsten Therapien behandelt zu werden.

Omer Hodzic erhält gerade seine Chemotherapie. Das Gift, das durch eine Infusionsnadel in seinen Körper tröpfelt, soll die Tumorzellen abtöten. Fataler Nebeneffekt: Viele gesunde Zellen gehen dabei ebenfalls zugrunde. Obwohl gegen den Krebs im fortgeschrittenen Stadium auch modernere Therapien bekannt sind.

Diese Medikamente aber sind teuer und stehen im notorisch unterfinanzierten bosnischen Gesundheitssystem so gut wie nie auf der Liste von Medikamenten, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen werden.

Der Arzt Adnan Filipovic (59), Direktor der Roche-Niederlassung in Bosnien und Herzegowina, zitiert eindrückliche Zahlen. Seinen gut bezahlten Job in einem US-Spital gab er 1997 auf und kehrte zurück in seine alte Heimat.

Kaum Geld für die Spitäler

Er kennt das dortige Gesundheitssystem wie kein Zweiter, nicht weniger als die komplizierten politischen Verhältnisse des Landes. «Dieser Staat wurde gegründet, um den Krieg zu beenden, nicht um uns in eine bessere Zukunft zu führen.» Allein die kantonalen Verwaltungen, so Filipovic, verbrauchten 40 Prozent des Budgets für das Personal ihrer ­Ministerien. Auch deshalb sei das Gesundheitssystem chronisch unterfinanziert.

450 Franken pro Kopf betrugen die Gesundheitsausgaben im letzten Jahr – ein bosnischer Spitalarzt verdient durchschnittlich 900 Franken im Monat. Viele junge Ärzte verlassen deshalb das Land.

Es gibt aber noch weitere Herausforderungen: So wurde in Bos­nien und Herzegowina noch vor zehn Jahren bei 70 Prozent der Patientinnen Brustkrebs erst diagnostiziert, als sich bereits Metastasen gebildet hatten und keine Heilungschance mehr bestand. Dank Aufklärung und verbesserter Früherkennung konnte dieser Wert inzwischen auf unter 30 Prozent gesenkt werden.

Die Kassenzulassung neuer Medikamente wäre für Omer Hodzic eine Hoffnung: Gerade erst wurde von den europäischen Behörden eine neue Immuntherapie freigegeben. Doch in Bosnien und Herzegowina kann es lange dauern bis Krebspatienten das Mittel erhalten. Ärztin Alma Mekic lässt sich davon nicht entmutigen: Sie arbeitet inzwischen am Aufbau einer Abteilung zur Radiotherapie. «Wir haben noch einen langen Weg vor uns!»

Der Krieg bei den Nachbarn

Vor 25 Jahren brach mit der Unabhängigkeitserklärung von Bosnien und Herzegowina ein Bürgerkrieg aus, der in vier Jahren über 100'000 Todesopfer forderte.

Mit dem Abkommen von Dayton im November 1995 endete der Krieg mit der Gründung eines föderativen Staates mit zehn Kantonen. 1,2 Millionen Einwohner zählt die Republika Srpska, mit Banja Luka als Hauptort.

In Bosnien und Herzegowina mit der Hauptstadt Sarajevo leben 2,2 Millionen Menschen.

Vor 25 Jahren brach mit der Unabhängigkeitserklärung von Bosnien und Herzegowina ein Bürgerkrieg aus, der in vier Jahren über 100'000 Todesopfer forderte.

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