Auf einen Blick
Lancaster, Pennsylvania – ein Ort, an dem neuste Technologien und der moderne Lifestyle auf Geschichte, Tradition und Religion treffen: ein Elektroauto überholt eine Kutsche, Menschen starren in ihre iPhones und Tabletts, während ein Mann in Latzhose, mit Hut und langem Bart sein Pferd für den Ausritt sattelt. Lancaster hat die weltweit grösste Population von Amischen, einer Glaubensgemeinschaft, die nach alten Traditionen und streng religiös lebt. Viele wählen gar nicht. Aber wer es tut, wählt oft Trump. Ein Leben ohne Sünde, aber Trump auf dem Wahlzettel: Wie passt das zusammen?
Die Gemeinde knapp zwei Stunden nordwestlich von Philadelphia zählt rund 57'000 Einwohner, etwas weniger als die Hälfte davon sind Amische. Das Verhältnis zwischen der Glaubensgemeinschaft und den Nicht-Amischen ist gut. Trotzdem bleiben sie oft unter sich, Amische haben eigene Schulen, Geschäfte und heiraten nur innerhalb ihrer Gemeinschaft.
«Ich habe 8 Kinder und 49 Enkel»
Nach der Heirat folgt schnell eine Grossfamilie. Im Durchschnitt haben Amische sechs Kinder, die Bevölkerung verdoppelt sich deshalb alle 21 Jahre. Noch grösser ist die Familie von Barbara (74), die in einer Kutsche vor einem Baumarkt sitzt. Sie will nicht gefilmt werden, zeigt sich jedoch gesprächig. «Ich habe 8 Kinder, 49 Enkelkinder und schon 9 Urenkel», erzählt die Frau im blauen langen Kleid und weissen Hut. Ihr Mann sei beim Einkaufen, sie warte lieber draussen. Die Amischen legen Wert auf klar vorgegebene, traditionelle Geschlechterrollen, der Mann ist das Familienoberhaupt.
Den modernen Versuchungen widerstehen
Im Baumarkt «Esh Hardware Store» ausserhalb von Lancaster arbeiten hauptsächlich Amische. So auch John Esh, der einwilligt, dass das Gespräch mit ihm aufgezeichnet wird. Eine genaue Jobbezeichnung hat er nicht, er packe an, wo es ihn braucht, nimmt Waren entgegen und füllt Regale auf. Die Buchhaltung macht er von Hand, denn er will keine Computer oder Handys benutzen. «In der moderneren Welt wird es leider zunehmend schwierig, ohne diese Geräte auszukommen», erklärt Esh. Aber wenn er moderne Technologien zwingend brauche, lasse er dies von anderen Personen erledigen. Ähnlich sieht es auch Lisa May (25), eine der wenigen Frauen im Store. Die Verkäuferin arbeitet mit einer alten Registrierkasse. «Wir brauchen nicht mehr, ich glaube an Traditionen und daran, dem Herrn zu geloben», so May. Amische sind hauptsächlich als Bauern oder in handwerklichen Berufen tätig.
Kirchen gibt es bei den Amischen nicht, sie beten meist zu Hause in den Familien. «Du kannst auch bei der Arbeit beten oder wenn du draussen unterwegs bist», erzählt Esh. Es gehe darum, «dem Lord» immer nahe zu sein.
Ihr Ursprung liegt in Zürich
Die Anfänge der amischen Glaubensgemeinschaft gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Die Täuferbewegung entstand unter anderem unter Ulrich Zwingli in Zürich. Daraus entwickelten sich zahlreiche Untergruppierungen, unter anderem die Amischen, die im 18. und 19. Jahrhundert nach Amerika übersiedelten. Neben Englisch sprechen sie «Pennsylvania Dutch», eine Sprache, die stark an Deutsch erinnert.
Steven Nolt (56) ist Professor am Elizabethtown College und befasst sich schon seit fast 30 Jahren mit dem Leben und der Geschichte der Amischen: «Sie glauben, dass Jesus will, dass sie ein möglichst simples Leben führen und sie leben bis heute strikt nach diesem Vorsatz.» Die amische Glaubensgemeinschaft genau zu beschreiben, sei schwierig. Es gibt zahlreiche Untergruppierungen und jede hat ihre eigenen Gepflogenheiten. Zudem agieren viele durch ihren konservativen Lebensstil wenig mit der Aussenwelt. «Viele Dokumentationen, Spielfilme und Touristenattraktionen über die Amischen sind falsch, sie geben der Diversität der amischen Kultur keinen Platz» so Nolt.
Lieber beten statt wählen
Der Wahlkampf geht nicht unbemerkt an den Amischen vorbei. Überall in Lancaster sieht man Wahlplakate, hauptsächlich für Donald Trump. «Falls es im Swing State Pennsylvania auf ein paar Tausend Stimmen ankommt, könnten die Amischen eine entscheidende Rolle spielen» so Nolt. Sie zu erreichen, ist jedoch schwierig. John Esh wählt nie: «Ich mache mir keine Sorgen um die Wahlen, Gott wird uns beschützen.» Ähnlich sieht es Lisa May, sie habe noch nie gewählt und werde es auch dieses Mal nicht tun. Barbara hingegen hat ihren Wahlzettel schon eingereicht. Ihre Stimme gibt sie dem Republikaner. «Ich mag Trump nicht. Aber er ist besser fürs Land – trotz seiner Casinos und Frauengeschichten. Kamala Harris lässt kriminellen Migranten rein, das ist gefährlich» so die 75-Jährige. Im Jahr 2020 gingen sechs Prozent der Amischen an die Urne, fast ausschliesslich für Donald Trump. Obwohl sie die Wahlen mitbestimmen könnten, bezweifelt Steven Nolt, dass aktuell mehr Amische wählen.