Am 27. April 2018 reichten sich Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und Südkoreas Präsident Moon Jae In die Hand – zum ersten Mal. Gemeinsam hüpften sie geradezu über die Grenze, die die beiden Staaten auf der koreanischen Halbinsel voneinander trennt.
Euphorie bei den Koreanern auf beiden Seiten. Echter Frieden rückte plötzlich in greifbare Nähe. Sogar eine mögliche Wiedervereinigung der beiden Länder.
Ein Jahr später ist alles anders. Kim Jong Un setzt seine Waffentests fort – und zwar nicht zu knapp. Anfangs Mai feuerte Nordkoreas Machthaber zwei Raketen ab: eine flog südkoreanischen Angaben zufolge 420 Kilometer, die andere 270 Kilometer weit, bevor sie vor der Ostküste Nordkoreas im Meer landeten.
Als hätte Nordkorea im April 2018 nicht versprochen, die Raketentests einzustellen. Als hätten die zwei Kim-Trump-Gipfel und die drei versöhnlichen Gipfel zwischen Südkoreas Präsident Moon Jae In und Nordkoreas Machthaber nie stattgefunden. Eine der nordkoreanischen Regierung nahe Quelle äussert sich gegenüber BLICK vielsagend: «Verbündete und Freunde ändern sich. Interessen nicht.»
Für Kim steht seine Machtdemonstration über allem. Am Donnerstag folgte das nächste Manöver. Südkoreas Streitkräfte teilten eine besorgniserregende Beobachtung: Das Militär der selbsternannten Atommacht habe am Donnerstag zwei Flugkörper abgefeuert, bei denen es sich vermutlich um Kurzstreckenraketen gehandelt habe.
Jae In reagiert auf Waffentests mit Lebensmitteln
Kim provoziert, Südkorea schaut hilflos zu. Der Eindruck entsteht, wenn man sich anschaut, wie Moon Jae In mit der neuen Sicherheitskrise umgeht.
Südkoreas Präsident lässt seine Streitkräfte weiterhin nur vorsichtig von «Flugkörpern» sprechen – obwohl längst klar ist, dass es sich um Raketentests handelte. Versprach nach den ersten Abschüssen gar Lebensmittelpakete für den krisengeschüttelten Nachbarn, in dem nach Angaben des Welternährungsprogramms 40 Prozent der Bevölkerung hungert.
Die Reaktion der südkoreanischen Regierung zeigt, wie hilflos Moon Jae In im Umgang mit Nordkorea ist. BLICK analysiert die Gründe.
1. Moon Jae In hat zwischen Trump und Kim keinen Spielraum
Südkoreas Präsident hat Kim Jong Un den Weg für ein Treffen mit dem US-Präsidenten bereitet. Ohne die Annäherung zwischen Süd- und Nordkorea hätte sich Donald Trump darauf nicht eingelassen.
Doch zwischen den beiden Hitzköpfen spielt Jae In kaum noch eine Rolle. Und der US-Präsident und sein Aussenminister Mike Pompeo sind nicht gewillt, Nordkoreas Provokation als solche anzuerkennen. Trump schrieb nach den ersten Abschüssen gar auf Twitter, er glaube nach wie vor an eine Einigung. Pompeo bezweifelte am Sonntag im Fernsehen, dass Kim mit den Tests Abmachungen verletzt habe.
2. Moon Jae In will sich nicht provozieren lassen
Die bisherige Nordkorea-Strategie von Jae In und seinem Vorgänger lässt sich in etwa so zusammenfassen: Seoul zahlt und kritisiert nicht. Nie würde Jae In ein böses Wort gegen Nordkorea über die Lippen kommen.
Südkoreas Staatspräsident setzt auf einen langfristigen Friedensprozess. Geduldig trifft er sich mit Nordkoreas Machthaber – im vergangenen Jahr gleich dreimal – und bietet seine Hilfe gegen die Hungerkrise an. Die Unterwürfigkeit geht so weit, dass auch Kritik aus Nordkorea unwidersprochen bleibt. Ob das die richtige Strategie im Umgang mit Kim ist, ist fraglich.
3. Moon Jae In ist eine «lame duck»
Moon Jae In ist bereits 66 und wird nur noch drei Jahre im Amt sein – eine Wiederwahl ist nicht möglich. Von Jae Ins anfänglicher Popularität ist nicht mehr viel übrig. Das südkoreanische Parlament gilt als ähnlich gespalten wie der US-Kongress. Von links wie rechts bekommt Jae In Gegenwind für seine milde Nordkorea-Politik.
Und Kim? Auch der kann seinen südkoreanischen Amtskollegen getrost ignorieren. Denn während Jae In bald weg vom Fenster ist, kann Kim noch locker ein paar Jahrzehnte regieren – wenn seine Gesundheit mitspielt. Und Kim bekam ja bereits, was er wollte: zwei Gipfel mit Trump. Ein dritter rückt durch die Waffentests bislang zumindest nicht in weitere Ferne.