Ein Gericht verbot das. Nun stehen die rund 5,6 Millionen Wahlberechtigten vor der Entscheidung, ob ihre wirtschaftsstarke Region die Konfrontation mit dem Rest des Landes fortführen oder einen Kompromiss anstreben soll. Umfragen zufolge wird es am Wahlabend ein eindeutiges Jein auf diese Frage geben.
«Voraussichtlich wird es wieder eine separatistische Mehrheit geben und die Blockade der vergangenen Jahre wird sich fortsetzen», fürchtet der Politologe Oriol Bartomeus. Die Umfragen geben ihm recht. Drei Parteien könnten in etwa gleich stark aus der Wahl hervorgehen: im Lager der Separatisten die linke ERC und die eher liberalkonservative JxCat, die bisher mehr recht als schlecht zusammenregierten. Im Lager der Gegner einer Abspaltung gelten die in Madrid regierenden Sozialisten als Favoriten.
«Neue Wahlen, altes Ergebnis», schrieb die Zeitung «La Vanguardia». Die grossen Blöcke pro und kontra Unabhängigkeit stünden sich wie seit Jahren gegenüber. Die wegen der Pandemie befürchtete niedrige Wahlbeteiligung könnten den Separatisten zugutekommen, deren Wähler als motivierter gelten.
Insgesamt ist die Parteilandschaft in Katalonien noch zersplitterter als im Rest des Landes. Die Parteien wetteifern darum, Erklärungen über die Unvereinbarkeit einer Zusammenarbeit mit anderen Parteien abzugeben. Alle Separatistenparteien verpflichteten sich sogar schriftlich, nicht mit den in Madrid regierenden Sozialisten zu paktieren. Die wiederum wollen sich nicht mit Separatisten einlassen.
Bartomeus schenkt dem nur wenig Glauben: «Das gehört zum Wahlkampf, nach der Wahl können sich alle möglichen Konstellationen ergeben.» ERC und Sozialisten gelten dabei am flexibelsten. Glaubhaft wirken nur die Absagen an die rechtspopulistische Vox, die die grösste Oppositionspartei Spaniens, die konservative Volkspartei, überholen könnte.
Und dann funkte auch noch Russlands Aussenminister Sergej Lawrow dazwischen. Beim Besuch des EU-Aussenbeauftragten, des Spaniers Josep Borrell, in Moskau entgegnete Lawrow auf Kritik an der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny, in Spanien seien ja auch katalanische Politiker wegen des Referendums über die Unabhängigkeit 2017 verurteilt worden. Die Genugtuung im Lager der Separatisten war gross. Die Regierung in Madrid wies den Vergleich empört zurück.
Aber auch die separatistischen Parteien sind sich untereinander alles andere als grün. Die Spitzenkandidatin von JxCat, Laura Borràs, tat sich mit der Forderung hervor, die Unabhängigkeitserklärung von 2017 sofort wieder in Kraft zu setzen, sollten die separatistischen Parteien mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Die ERC mit ihrem Spitzenkandidaten Pere Aragonès winkte aber angesichts der ernüchternden Folgen dankend ab, die noch linkere Partei CUP war ebenfalls nicht begeistert.
ERC und CUP setzen auf ein neues Referendum über die Unabhängigkeit, möglichst mit Genehmigung der Zentralregierung. Aber so richtig eilig haben sie es nicht. «Die separatistischen Parteien bemühen sich, die Magie von 2017, diese Euphorie irgendwie zu bewahren. Aber sie wagen es nicht, den Menschen zu sagen: Das war alles nichts, die Unabhängigkeit ist nicht zu erreichen», sagt Bartomeus.
Im Lager der Unabhängigkeitsgegner machen sich die Sozialisten grosse Hoffnungen. Sie treten mit dem Spitzenkandidaten Salvador Illa an, der als bisheriger spanischer Gesundheitsminister grosse Bekanntheit erreichte. Der stets ruhig auftretende Katalane steuerte zwar nicht unfallfrei durch die Pandemie, erlitt aber auch keinen politischen Totalschaden. Illa setzt auf Mässigung und Verhandlungen mit den Separatisten. Trotz aller Abgrenzungen könnte er Gehör finden.
(SDA)