Erschöpfung, chronische Schmerzen, Depressionen – noch sind mögliche Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung unabsehbar. Mediziner und Politiker befürchten: Die Infektionswelle von heute könnte die Gesundheitssysteme noch auf Jahrzehnte belasten.
Eine neue Studie aus den USA beleuchtet nun die Schäden, die eine Corona-Erkrankung ausserhalb der Lunge anrichten kann. Für den in der Juli-Ausgabe von «Nature Medicine» erschienenen Artikel «Extrapulmonary manifestations of COVID-19» haben US-Forscher von Top-Unispitälern und -Forschungseinrichtungen wie Yale und Harvard zusammengespannt.
«Ärzte müssen Covid-19 als eine Multisystemerkrankung betrachten»
Ihre Ergebnisse sind besorgniserregend. Hauptautor Aakriti Gupta, ein Kardiologe vom Irving Medical Center der Columbia Universität in New York, sagt, dass er beim Kampf gegen Covid-19 an vorderster Front stand.
«Ich beobachtete, dass die Blutgerinnung bei Patienten sehr stark war, dass sie hohe Blutzuckerwerte hatten – auch wenn sie nicht an Diabetes litten – und dass viele von ihnen Schäden an Herz und Nieren erlitten», zitiert ihn der Fachblog «newsGP». Er habe dadurch erkannt, dass eine Infektion weit mehr als nur die Atemwege betreffe. «Ärzte müssen Covid-19 als eine Multisystemerkrankung betrachten.»
Angriff auf Herz, Nieren, Gehirn, Bauchspeicheldrüse und Leber
Die von Gupta federführend verfasste Studie zeigt: Auch ausserhalb der Atemwege könne das Coronavirus zu erheblichen Organschäden führen. «Schäden werden durch gestörte Blutgerinnung, Immunfunktion, Endothelfunktion (kleinste Gefässe in Organen) und andere Mechanismen verursacht», fasst der deutsche Bundestagsabgeordnete und Epidemiologe Karl Lauterbach (57) die Studie der US-Wissenschaftler zusammen.
Ein schwerer Verlauf führe daher häufig zu einem Multiorganversagen. «Besonders betroffen sind neben der Lunge Herz, Nieren, Gehirn, die Bauchspeicheldrüse und die Leber.»
Auch Schweizer Forscher warnen seit Pandemie-Beginn vor den Erkrankungen, welche die Lungenkrankheit begleiten. Fast alle Corona-Patienten mit einem schweren Verlauf kämpften mit Nierenversagen, Muskelzerfall, hohen Leberwerten, manche auch mit Herzmuskel-Entzündungen und Durchfall, beobachtete Peter Steiger, Leiter der Intensivstation am Unispital Zürich, bereits im März. Bei jedem Patienten lernten die Spitäler Neues über das Virus und die von ihm ausgelösten Krankheitssymptome.
Neben Impfstoff ist Verbesserung der Therapie zentral
Die «mit Abstand beste Studie zu den Schäden von Covid-19 ausserhalb der Lunge», nennt Lauterbach die Arbeit seiner US-Kollegen. Sie zeigt: «In der Summe überwiegen die Schäden ausserhalb der Lunge die Lungenschäden.» Das gälte «wahrscheinlich» auch für tödliche Fälle.
Sein Fazit: Neben der Entwicklung eines Impfstoffs sei «unbedingt eine bessere Behandlung notwendig». Wenn es keine sichere Impfung gäbe, werde «alles davon abhängen, welche Therapien uns gelingen». (kin)