Seit König Salman vor einem Jahr den Thron im Königreich Saudi-Arabien bestiegen hat, zündelt er in der Region. Mit der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr am Samstag provoziert er den lokalen Rivalen Iran bis aufs Blut. Dieser reagierte empört, schon am Tag darauf brannte die saudische Botschaft in Teheran. Als Reaktion verkündeten die Saudis den Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
Wo führt der Streit des sunnitischen Saudi-Arabien und des schiitischen Iran noch hin? BLICK sprach mit Nahost-Experte Erich Gysling über die Gründe der saudischen Provokation, die Folgen für den Syrien-Krieg und die Rolle der USA.
Herr Gysling, wieso provozieren die Saudis den Iran derart?
Erich Gysling: Es ist ein Ringen um die Vormachtstellung in der Region. Die Saudis merken, dass sie auf dem absteigenden Ast sind: Wegen des niedrigen Ölpreises muss das Land sparen und die Rückendeckung der USA, die nicht mehr auf saudisches Öl angewiesen sind, wird schwächer. Der Iran ist gleichzeitig auf dem aufsteigenden Ast, seit der Westen die Sanktionen lockern will. Mit der Hinrichtung von Nimr al-Nimr senden die Saudis die Botschaft aus: Jetzt ist genug. Salman zeigt seine Muskeln und macht klar, wer in der Region an der Macht ist.
Stösst Saudi-Arabien damit nicht die Partner im Westen vor den Kopf?
Doch, der Westen ist schockiert. Die Unterstützung für die Saudis schwindet weiter. Der Westen dachte bei Salmans Thronbesteigung vor einem Jahr noch, dass er ein Reformer sei. So dürfen Frauen an Lokalwahlen teilnehmen. Doch das war Augenwischerei. Salman provoziert mit seiner Aussenpolitik, sei es mit dem Eingreifen im Jemen oder der Unterstützung der islamistischen Rebellen in Syrien.
Die USA unterstützen Saudi-Arabien seit Jahrzehnten. Lassen sie die Saudis nun fallen?
Das glaube ich nicht. Zwar ermahnen sie die Saudis in letzter Zeit öfters. Doch die USA haben immer noch die 5. Flotte im arabischen Raum zum Schutz der Saudis. Eine richtige Distanzierung ist nicht in Aussicht.
Warum nicht?
Die Saudis sind eine Grossmacht, militärisch sowie finanziell. Die kann man nicht einfach ignorieren und ins Abseits stellen. Zudem gibt es handfeste wirtschaftliche Interessen.
Ideologisch ist Saudi-Arabien nicht weit weg vom IS. Bislang wurde dies dem Frieden zuliebe hingenommen. Ändert sich das nun?
Ich hoffe, dass es mehr zum Thema wird. Westliche Staatschefs ermahnen die Saudis zwar deswegen bei ihren Besuchen, aber nur leise. Ich glaube, es wird bei Ermahnungen bleiben.
Welche Reaktion erwarten Sie vom Iran? Ayatollah Ali Chamenei droht bereits mit der «Rache Gottes».
Schwierig zu sagen, aber grundsätzlich wollen die Iraner keinen Krieg. Sie sind noch vom Krieg gegen den Irak in den 1980er-Jahren traumatisiert. Zudem wollen sie eine einigermassen normale Beziehung mit Saudi-Arabien. Schon alleine wegen den 1,5 Millionen Iranern, die jährlich ins saudi-arabische Mekka pilgern.
Was bedeutet der Streit für den Syrien-Konflikt?
In Syrien spielt sich ein Regionalkrieg ab. Der Iran unterstützt das Assad-Regime, die Saudis die islamistische Opposition. Solange die Länder die Parteien mit Waffen, Soldaten und Geld unterstützen, geht der Krieg weiter. Würden beide die Lieferungen einstellen, würde der Konflikt austrocknen. Als Saudi-Arabien und der Iran kürzlich zum ersten Mal an einen Tisch sassen, kam die Hoffnung auf, dass es Ansätze für einen möglichen Frieden gibt. Doch diese Hoffnung ist nun in weite Ferne gerückt. Jetzt ist es noch illusorischer, an einen Befriedungsprozess zu denken.