Herr Gysling, die Russen haben bei ihrem Angriff offenbar syrische Rebellen getroffen. Bombardiert Putin die Falschen?
Erich Gysling: Das Risiko besteht, aber Russland nimmt es in Kauf. Wohl weil man sich in Moskau sagt, dass die sogenannte gemässigte, progressive Opposition keine Rolle mehr spielt.
Stimmt das denn?
Leider ja. Diese Opposition, vom Westen vier Jahre lang gehätschelt, ist im Innern noch immer total zerstritten. Und in Syrien selbst wird sie nicht ernst genommen.
Was bringt der Einsatz der Russen in Syrien?
Eine Stärkung des Assad-Regimes und eine leichte Schwächung des IS.
Die Forderung wird immer lauter: Der Westen soll mit Assad kooperieren. Was sagen Sie dazu?
Sicher nicht. Aber der Westen wird die Tatsache, dass Assad noch jahrelang an der Macht bleibt, wie eine bittere Kröte schlucken müssen. Denn die Alternative würde wohl lauten: totaler Staatszerfall, Chaos, weitere Ausbreitung von Terrororganisationen wie IS, Al Kaida und Al Nusra.
Die Allianz gegen den IS umfasst immer mehr Staaten. Wird sie den IS zerstören können?
Die Allianz wird zwar immer grösser, aber die islamistischen Extremisten haben weiterhin Unterstützung aus – angeblich privaten – Quellen in Saudi Arabien, den Emiraten und Katar. Will man den IS besiegen, ist wohl eine Kombination von militärischen und politischen Schritten notwendig: Kampf gegen Ausbildungsbasen des IS sowie die Verpflichtung aller Regierungen, jegliche Hilfe für den IS zu unterbinden.
Was schätzen Sie, wie lange wird es dauern, bis in Syrien wieder einigermassen Ruhe herrscht?
Im besten Fall einige wenige, wahrscheinlich aber viele Jahre. Doch Syrien als Land in den früheren Grenzen wird es nicht mehr geben. Der Staat wird wahrscheinlich segmentiert: Ein Teil unter der Kontrolle Assads, ein Teil kurdisch und eine grosse, aber wenig bevölkerte Fläche unter der Knute der Islamisten.