Die Suche nach einem neuen EU-Kommissionspräsidenten hat sich als äusserst kompliziert erwiesen: Weil EU-Ratspräsident Donald Tusk noch bilaterale Gespräche mit einzelnen EU-Chefs führen wollte, hatte sich der Start des EU-Sondergipfels am Sonntagabend in Brüssel stark verzögert. Derweil sprechen sich mehrerer EU-Chefs gegen den Sozialdemokraten Frans Timmermans als neuen EU-Kommissionschef aus.
Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte stellte sich vor Gipfelbeginn auf zähe Verhandlungen ein. «Ich bin bereit für einen langen Marathon heute Abend», sagt er bei seiner Ankunft. Er werde die Kandidatur Timmermans für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten prüfen, sagte Conte weiter. In den letzten Tagen wurde immer wieder der Niederländer als Nachfolger des EU-Kommissionspräsidenten genannt.
Juncker setzt sich für Timmermans
Der aktuelle Kommissionschef Jean-Claude Juncker machte sich denn auch stark für ihn. Wenn dieser nicht "in Ordnung" wäre, hätte er ihn nicht zu seinem Stellvertreter ernannt, erklärte Juncker. Stellvertreter sei jedoch nicht Kommissionspräsident, räumte er ein.
Der französische Präsident Emmanuel Macron zeigte seinerseits offen für die Nominierung Timmermans zum Präsidenten der EU-Kommission. Er nannte neben dem Sozialdemokraten aber auch die Liberale Margrethe Vestager und den Brexit-Unterhändler Michel Barnier als geeigneten Kandidaten. «Ich glaube, dass wir eine konstruktive Einigung finden können.»
Merkel hält sich bedeckt
Wesentlich zurückhaltender zeigte sich hingegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel: «Es werden keine sehr einfachen Verhandlungen.» Denn in der christdemokratischen Parteienfamilie EVP regte sich deutlichen Widerstand gegen den Sozialdemokraten. Eine grosse Mehrheit der Regierungschefs der Europäischen Volkspartei (EVP) sei der Ansicht, dass man den Posten nicht ohne Kampf aufgeben solle, sagte der irische Regierungschef Leo Varadkar.
Opposition gegen Timmermans kommt ausserdem vom ungarischen Ministerpräsident Viktor Orban. Dieser warnte die europäischen Konservativen davor, die Ernennung des Niederländers zum EU-Kommissionspräsidenten zu unterstützen.
Orban bezeichnet Ernennung als «historischen Fehler»
Dies wäre ein «historischer Fehler», schrieb Orban in einem am Sonntag veröffentlichten Brief an den Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), Joseph Daul. Für die EVP, die die Europawahl gewonnen habe, wäre es eine «Demütigung», wenn «die wichtigste Position an unseren grössten Rivalen geht».
Als Vize-Chef der Brüsseler Behörde war Timmermans bisher für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit zuständig. Dabei war er häufiger mit Ungarn und anderen östlichen EU-Staaten aneinandergeraten. Die 28 EU-Staats- und Regierungschefs wollen bei einem Sondergipfel am Sonntagabend in Brüssel eine Lösung für die Nachfolge von EU-Kommissionschef Juncker und die Besetzung anderer Spitzenposten finden. (SDA/szm)