Die Trauer um den Tod von Justiz-Ikone Ruth Bader Ginsburg (†87) dauerte nicht lange. Bereits wenige Stunde nach ihrem Ableben ist in Washington D.C. ein Streit um ihre Nachfolge entfacht, der die Präsidentschaftswahlen im November massgeblich prägen könnte.
Präsident Donald Trump (74) und seine Republikaner scheinen gewillt, so schnell wie möglich eine neue Super-Richterin für den Obersten Gerichtshof (Supreme Court) zu ernennen. Die oppositionellen Demokraten toben und versuchen mit allen Mitteln, dieses Unterfangen hinauszuzögern. BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen im Kampf um den Supreme Court:
Warum ist der Supreme Court so wichtig?
Das Oberste Gericht ist politisch sehr wichtig. Nicht selten hat das Gericht in aktuellen Auseinandersetzungen das letzte Wort. So etwa auch bei den grossen Themen, an denen sich die gesellschaftliche Spaltung der USA aufzeigt: Abtreibung, Einwanderung oder Waffenbesitz.
Die Entscheidungen sind oft von landesweiter Bedeutung und prägen die Auslegung von Gesetzen an unteren Gerichten über Jahre. Hinzu kommt: Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Mit der Kandidatenwahl kann ein Präsident die Mehrheitsverhältnisse auf lange Zeit beeinflussen.
Ist die politische Einstellung der Richter relevant?
Ja. Kommt es zu Kontroversen, spielen auch die Haltungen der Juristen eine Rolle. Die Kammer ist hochpolitisch. Es gibt insgesamt neun Richter: Zurzeit gelten fünf als konservativ und vier als liberal.
Konnte Donald Trump bereits einen Richter ernennen?
Sogar schon deren zwei! Der US-Präsident prägte den Obersten Gerichtshof in seiner Amtszeit enorm und hat nun die historische Chance, einen dritten Richter zu installieren. Er konnte 2017 mit Neil Gorsuch (52) und 2018 mit Brett Kavanaugh (55) zwei Konservative installieren und hat den obersten Gerichtshof der USA so wohl jahrelang auf Rechtskurs gebracht.
Besonders die Ernennung von Kavanaugh sorgte für Aufsehen. Er sah sich im Herbst 2018 bei seinem Bestätigungsverfahren im Senat mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert. Einige hitzige Wochen und eine FBI-Ermittlung später jedoch wurde er vom republikanisch dominierten Senat in den Supreme Court gewählt.
Warum jetzt die Kontroverse?
Die Demokraten toben, weil die Republikaner im Frühling 2016 einen Richterkandidaten von Barack Obama (59) mit der Begründung verhindert hatten, dass der damalige US-Präsident nur noch bis im November im Amt sei. «Das amerikanische Volk soll eine Stimme bei der Auswahl seines nächsten Supreme-Court-Richters haben, deshalb soll dieser Posten nicht besetzt werden, bis wir einen neuen Präsidenten haben», sagte Mitch McConnell (78), der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, damals.
Jetzt aber wollen Mitch McConnell und Co. vorpreschen und einen neue Richterin so schnell wie möglich ernennen. Dabei finden die Präsidentschaftswahlen in nur knapp zwei Monaten statt. Die Demokraten sprechen deshalb von Doppelmoral und Heuchelei. Der Minderheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer (69), sagte am Montag mit Anspielung auf McConnells Aussage vor über vier Jahren: «Das Wort eines Senators muss etwas wert sein.»
Besonders der republikanische Senator Lindsey Graham (65) steckt in der Zwickmühle. Er hatte in den vergangenen Jahren mehrfach versprochen, die Besetzung eines Richterpostens am Supreme Court dem nächsten Präsidenten zu überlassen, sollte ein Posten im Wahljahr freiwerden. «Wenn 2016 ein republikanischer Präsident gewählt wird und sich im letzten Jahr seiner ersten Amtszeit eine Vakanz auftut, können Sie sagen, 'Lindsey Graham hat gesagt, wir überlassen die Nominierung dem nächsten Präsidenten, wer auch immer das werden mag'.» Man könne seine Worte dann auch gegen ihn verwenden, fügte Graham noch hinzu. Doch jetzt ist plötzlich alles anders! Graham stellte sich hinter die republikanische Führung und Donald Trump.
Wie viele Stimmen brauchen die Republikaner, um einen Richter zu ernennen?
Eine einfache Mehrheit genügt. Zuerst muss die Kandidatin den Justizausschuss des Senats passieren. Danach die ganze Kammer. Und zurzeit ist der Justizausschuss wie auch der US-Senat unter republikanischer Kontrolle. Stimmen sie geschlossen ab, können die Republikaner Trumps Kandidatin ohne jegliche demokratische Unterstützung zum Supreme Court durchboxen.
Insgesamt brauchen die Demokraten wohl vier Republikaner, um einen weiteren Super-Richter von Donald Trump zu verhindern. Denn: Bei einem 50:50-Unentschieden fällt der Stichentscheid auf den US-Vizepräsidenten. Mike Pence (61) würde dann die Kandidatin seines Chefs bestätigen.
Gibt es Republikaner, die nicht mit ihrer Partei stimmen werden?
Ja. Lisa Murkowski (63), Senatorin aus Alaska, hat dem US-Präsidenten ihre Unterstützung bereits entzogen: Sie will die Stelle am Obersten Gerichtshof nicht kurz vor der Wahl besetzen. Murkowski findet, es müsse derselbe Standard gelten wie im Jahr 2016. Und auch Susan Collins (67), Senatorin aus Maine, will nicht mitmachen. Präsident Trump könne zwar vorerst mit der Nominierung fortfahren – aus «Fairness zum amerikanischen Volk» sollte aber der nächste gewählte Präsident über die Besetzung des Richterpostens auf Lebenszeit entscheiden, sagte sie am Wochenende. Fehlen also noch zwei Abtrünnige ...
Wen will Donald Trump nominieren?
«Es wird eine Frau sein», kündigte Trump am Samstag (Ortszeit) bei einem Wahlkampfauftritt in Fayetteville im Bundesstaat North Carolina an. Laut US-Medienberichten will der US-Präsidenten zwischen zwei Kandidatinnen entscheiden. Eine davon ist Barbara Lagoa (52), eine erfahrene Richterin aus Florida mit kubanischen Wurzeln. Die andere ist Amy Coney Barrett (48) aus New Orleans, Louisiana. Wie Lagoa gehört auch Barrett dem konservativen Lager an und sei vom Weissen Haus auch schon für die mögliche Ginsburg-Nachfolge interviewt worden.
Wann könnte es zum Showdown im Senat kommen?
Wahrscheinlich erst nach den Präsidentschaftswahlen. Trump prescht zwar vor und will noch diese Woche eine Kandidatin nominieren. Doch Experten glauben nicht, dass die Republikaner bis am 3. November eine Abstimmung im Senat durchboxen könnten. Doch selbst nach den Präsidentschaftswahlen bleiben der Partei noch zwei Monate Zeit. Denn der neue Kongress wird erst am 3. Januar 2021 vereidigt. Die Amtsanführung des Präsidenten ist auf den 20. Januar 2021 angesetzt.
Wird der Streit um die Ginsburg-Nachfolge die US-Wahlen beeinflussen?
Das ist die grosse Frage, über die sich die angesehensten Politologen in den USA derzeit streiten. Einerseits sind die Meinungen vieler Amerikaner gemacht. Die These geht so: Entweder man unterstützt Donald Trump – oder man unterstützt seinen Herausforderer Joe Biden (77). Politikwissenschaftler geben allerdings zu Bedenken, dass einige Konservative, die sich von Trump abgewendet haben, nun trotzdem nochmals für den US-Präsidenten stimmen könnten; um die konservative Mehrheit am Supreme Court zu festigen.
Letztlich bietet die Vakanz am Obersten Gerichtshof für beide Parteien die Möglichkeit, die jeweilige Wählerbasis so richtig in Wahlstimmung zu versetzen. In der Vergangenheit waren es die Republikaner, die deswegen an die Urnen geströmt sind. Ob dies auch 2020 wieder so sein wird, kann derzeit niemand gewissenhaft voraussagen.