Madrid sieht in ihm einen Staatsfeind, einen Putschisten. Für die Katalanen aber ist er ein Volksheld: Jordi Cuixart i Navarro (47), der bekannteste Separatist Spaniens.
Seit Jahren kämpft er unerbittlich für die «independència», die Unabhängigkeit Kataloniens. Fast vier Jahre sass er dafür im Gefängnis. Nun ist er frei und verlässt seine Heimat. Cuixart wandert aus – in die Schweiz.
SonntagsBlick erreicht den Katalanenführer am Telefon in Barcelona. Er bestätigt: «Ja, ich ziehe mit meiner Familie in die Schweiz.» Er werde sich in der Nähe von Neuenburg niederlassen.
Cuixarts Firma hat Filiale in Neuenburg
Der Umzug sei keine politische Flucht, betont Cuixart. Der Entscheid, Katalonien den Rücken zu kehren, habe private und geschäftliche Gründe. Er bleibe, was er immer war: Aktivist. «Nur werde ich meinen Kampf für die Unabhängigkeit in Zukunft aus der Schweiz heraus führen.»
Cuixart ist Gründer und Präsident der auf Verpackung spezialisierten Firma Aranow Packaging. Im Frühjahr eröffnete das Unternehmen einen neuen Ableger in Neuenburg, um in Kooperation mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) Forschungs- und Entwicklungsprojekte umzusetzen.
Haft machte Cuixart zum Märtyrer
Bekannt wurde Cuixart aber nicht als Unternehmer, sondern als Chef der einflussreichen Kulturvereinigung Omnium – und als politischer Gefangener. Wenige Tage nach dem verbotenen Unabhängigkeitsreferendum der Katalanen vom 1. Oktober 2017 wurde er verhaftet und in ein Hochsicherheitsgefängnis nahe Madrid verfrachtet. Der spanische Staat warf ihm Aufwiegelung und Rebellion vor.
Die Haft machte Cuixart zum Märtyrer. Und löste eine riesige Protestwelle aus. Hunderttausende Katalanen forderten seine Freilassung, trugen sein Konterfei durch die Strassen. In einem Interview mit SonntagsBlick sagte seine Ehefrau Txell Bonet im Herbst 2019: «Unser Sohn denkt, das Gefängnis sei Papas Zuhause.»
Damals hatte die spanische Justiz Cuixart soeben zu neun Jahren Haft verurteilt. Weitere Separatistenführer wurden inhaftiert, erstmals schlugen Demonstrationen in Katalonien in Gewalt um. In Barcelona und anderen Städten kam es zu wochenlangen Krawallen.
Bewährungsfrist und Ämterverbot
Im Juni 2021 dann die überraschende Wende: Cuixart kam frei. Der spanische Präsident Pedro Sánchez begnadigte ihn. Wohl auch aufgrund von Druck aus dem Ausland. Cuixart wurde eine fünfjährige Bewährungsfrist sowie ein Ämterverbot bis 2027 auferlegt.
Und nun also der Umzug in die Schweiz. Ein Rückzug sei das keineswegs, sagt Cuixart. Er kündigt aber an, fortan nur noch aus der zweiten Reihe zu kämpfen: «Es ist Zeit für eine neue Generation von Aktivisten.» Nach fast vier Jahren im Gefängnis wolle er mehr mit seiner Familie zusammen sein.
Cuixart ist nicht der erste katalanische Unabhängigkeitsaktivist, der sich in der Schweiz niederlässt. Im März 2018 floh Marta Rovira nach Genf. Der Generalsekretärin der linksnationalistischen ERC-Partei drohte in Spanien eine lange Haftstrafe. Auch ihr warf die Justiz Aufruhr und Rebellion vor.
Weitere Unabhängigkeitsaktivistinnen im Genfer Exil
In einem offenen Brief schrieb sie damals: «Ich kann das Ausmass an Traurigkeit nicht ausdrücken, das ich empfinde, weil ich so viele Menschen, die mich lieben, zurücklassen muss.» Wochenlang rätselte man in Spanien, wohin Rovira sich abgesetzt haben könnte. Dann meldet sie sich im SonntagsBlick erstmals zu Wort, erzählte von ihrer Flucht nach Genf und von Agnès, ihrer Tochter: «Ihr muss ich alles geben, was ich kann. Im Gefängnis kann ich das nicht.»
Wie Rovira lebt auch Anna Gabriel im Exil in Genf. Weil sie 2018 nicht zum Verhör in Madrid erschienen war, wurde sie in Spanien zur Verhaftung ausgeschrieben. Heute präsidiert die ehemalige Abgeordnete der Linkspartei CUP die Genfer Sektion der Gewerkschaft Unia.
Derweil brodelt die Katalonien-Krise weiter. Die Freilassung von Cuixart und seinen Mitkämpfern hat die Lage zwar vorerst beruhigt. Gelöst ist der Konflikt aber nicht. Die Gräben könnten jederzeit neu aufbrechen.