Im verschneiten Davos wird diese Woche wieder geredet, in der verschneiten Ukraine weiter gekämpft. Die beiden Welten könnten nicht weiter auseinanderliegen. Und doch wird sich im alpinen Winter-Städtchen alles um die Kriegshölle in der eisigen Ukraine drehen. Präsident Wolodimir Selenski (45) kommt persönlich – und hat am Wochenende schon mal eine Delegation vorgeschickt, um am Rande des 54. Weltwirtschaftsforums (WEF) für seinen Zehn-Punkte-Friedensplan zu weibeln.
Der Plan hält fest, welche Bedingungen Russland erfüllen muss, bevor die Ukraine sich zu Verhandlungen bereiterklärt. Unter anderen soll Wladimir Putin (71) seine Truppen aus dem gesamten ukrainischen Gebiet abziehen (Punkt 6) und alle Kriegsgefangenen (inklusive der mehr als 20'000 ukrainischen Kinder, die nach Russland entführt worden sein sollen) freilassen (Punkt 4). In Davos will die ukrainische Delegation – genau wie zuvor an den Konferenzen in Kopenhagen, Jeddah und Malta – weitere Regierungen dazu bringen, sich hinter den Plan zu stellen. Die Schweiz macht mit – und verspielt sich genau damit ihren grössten Joker.
Insgesamt 83 Länder unterstützen Selenskis Friedensplan. «Es gibt keine Alternative zu diesem Plan», sagte Bundesrat Ignazio Cassis (62) am Sonntag in Davos. «Wir können uns nicht einfach hinsetzen und davon träumen, dass die Welt eine bessere wird.»
Verhandlungen hier? Schweiz müsste Putin verhaften lassen
Waffen oder militärische Güter, die die Ukraine in der festgefahrenen Situation nach fast zwei Jahren Krieg dringend bräuchte, liefert die Schweiz allerdings nach wie vor keine. Dafür leiste man im Hintergrund sehr viel Vermittlungsarbeit zwischen den Kriegsparteien, erklärte Cassis am Sonntag in Davos. «Das passiert oft auf einer Ebene, von der die Öffentlichkeit nichts mitbekommen kann oder darf. Aber ich versichere Ihnen: Unsere guten Dienste sind so gefragt wie nie.»
Sich angesichts der frappanten militärischen Bedrohung aus dem Osten als Vermittlerin anpreisen und auf Waffenlieferungen an die um Munition bettelnde Ukraine zu verzichten: Kann man machen. Im mindesten müsste sich die Schweiz dann aber als Austragungsort für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine anbieten. Und genau das macht sie mit ihrer klaren Unterstützung für Selenskis Friedensplan unmöglich.
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Der Plan hält nämlich glasklar fest, dass Verhandlungen erst nach Erfüllung aller zehn Punkte des Friedensplans möglich sind. Dazu gehört auch die Einrichtung eines internationalen Sondergerichts, vor das die Verantwortlichen des russischen Angriffskrieges (also zuallererst Wladimir Putin) gestellt werden sollen. Würde Putin also zu Verhandlungen in die Schweiz kommen, müsste die hiesige Justiz ihn sofort verhaften lassen.
Letzte Minen in der Ukraine erst in 700 Jahren geräumt
Die Schweiz steckt im diplomatischen Dilemma. Man versucht sich im Game der guten Dienste und spricht nebenher neue Gelder für die Minenräumung in der Ukraine. Das ist gut fürs humanitäre Image unseres Kleinstaates, militärisch aber nichts als ein Tropfen auf den heissen Stein. Bis die Ukraine gänzlich von Minen befreit sein wird, dauert es – so sagen ukrainische Experten am Rande der Friedenskonferenz – rund 700 Jahre.
Bis dahin fällt noch viel Schnee in Davos. Und bis dahin sterben noch viele Ukrainer im erbitterten Kampf gegen die russischen Invasoren. Mit Minenräumungsgeräten und einer gemeinsamen Sprache des Friedens, die man in Davos finden will, gewinnt man keinen Krieg. Dazu bräuchte es jetzt ein radikales Umdenken und stählerne militärische Zugeständnisse. Die wird die Schweiz nicht liefern. Das dürfte auch der letztlich verzweifelte Besuch von Präsident Selenski in Davos nicht ändern.