Was für ein Schlag für den Westen, was für ein Triumph für Putin! Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) hat den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (66) ausgeladen, als dieser schon auf dem Weg nach Kiew war.
Steinmeier wollte in der Nacht auf Mittwoch mit den Staatschefs von Polen sowie den Vertretern der drei baltischen Staaten unter grosser Geheimhaltung mit dem Zug nach Kiew reisen und Selenski einen Solidaritätsbesuch abstatten.
Am Dienstag flog er nach Warschau ab, um seine Amtskollegen zu treffen. In Polens Hauptstadt erreichte ihn dann aber die überraschende Absage von Wolodimir Selenski. Als die «Bild»-Zeitung – offenbar auf Berufung von ukrainischen Diplomaten – darüber berichtete, flogen die geheime Reise und das Veto Selenskis auf.
Steinmeier war darauf gezwungen, in Warschau vor die Medien zu treten. Er sagte, dass man ein «starkes Zeichen der Solidarität Europas mit der Ukraine» setzen wollte. «Ich war dazu bereit. Aber offenbar – und ich muss dies zur Kenntnis nehmen – war das in Kiew nicht gewünscht.»
Zu Russland-freundlich
Hintergrund von Selenskis Korb: Steinmeiers Russland-freundliche Politik. Steinmeier von der SPD pflegte früher als Aussenminister gute Kontakte zu seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow (72). Zudem hielt er lange an der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 fest.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk (46), hat Steinmeier vorgeworfen, für Putin in Berlin die Stellung zu halten. Der deutsche Bundespräsident hat darauf vergangene Woche eingestanden, dass er sich in der Einschätzung Putins «geirrt» habe.
Klitschko ärgert sich
Selenski wird für die Ausladung Steinmeiers nun aber kritisiert. Deutsche Politiker aus allen Parteien äussern ihr «Unverständnis», weisen aber auch auf die Nerven hin, die blank lägen. Sogar Kanzler Olaf Scholz (63), den Selenski an Steinmeiers Stelle nun eingeladen hat, bezeichnet die Absage als «etwas irritierend».
Aber auch in der Ukraine gibts Kritik am eigenen Präsidenten. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko (50) sagte in der «Bild»-Zeitung: «Gerade jetzt ist es enorm wichtig, dass die Ukraine gemeinsam mit Deutschland und der gesamten Europäischen Union eine klare gemeinsame Front gegen die russische Invasion zeigt.»
«Affront schwächt Unterstützung»
Russland-Experte Ulrich Schmid (56) von der HSG in St. Gallen erachtet Selenskis Entscheid als «unklug». «Die Ukraine braucht im Moment alle Verbündeten. Ein diplomatischer Affront eines der wichtigsten Staaten in der EU schwächt die Unterstützung für die Ukraine in Europa.»
Schmid geht davon aus, dass Selenski ein innenpolitisches Signal setzen wolle. Schmid: «Er positioniert sich als ukrainischer Patriot, der keine Kompromisse mit Russland duldet. Steinmeier stand als Aussenminister für eine Annäherung an Russland – das hat man in der Ukraine nicht vergessen.»
Der «Spiegel» berichtet, dass auch das polnische Lager über die Indiskretionen verärgert sei. Präsident Andrzej Duda (49) sei ausser sich. Denn der Streit zwischen Kiew und Berlin bewirke vor allem eines: Er verleiht Putin Auftrieb.
Macron über Biden verärgert
Selenskis Korb ist nicht das einzige Geschenk, das Putin diese Woche erhalten hat. Auch zwischen US-Präsident Joe Biden (79) und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (44) kam es zu Differenzen.
Als Biden die Gräueltaten als «Völkermord» bezeichnete, sagte Macron in einem Interview, dass er vorsichtig wäre mit solchen Begriffen und dass «eine Eskalation der Rhetorik» der Friedensförderung nicht diene.