Nikolaus Harnoncourt, eng verbunden auch mit dem Lucerne Festival, dem Opernhaus und der Tonhalle in Zürich, war als Musiker wie als Dirigent immer auf der Suche nach dem unmittelbaren Klang. «Musik muss die Seele aufreissen», war seine Überzeugung. In der Interpretation des Werkes von Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn oder Wolfgang Amadeus Mozart setzte der Österreicher Massstäbe.
An seinem 86. Geburtstag im vergangenen Dezember hatte er bekanntgegeben, dass er sich vom Pult zurückzieht: «Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne.» In seinem kurzen Abschiedsbrief im Programmheft des Wiener Musikvereins schrieb er aber auch an das Publikum: «Wir sind eine glückliche Entdeckergemeinschaft geworden.»
Harnoncourt schlug immer wieder neue Wege ein. Als junger Cellist verschrieb sich der Musiker in den 1950er Jahren der damals gering geschätzten Alten Musik. Gemeinsam mit seiner Frau Alice Hoffelner gründete er mit 23 Jahren den Concentus Musicus als jene Formation, die auf historischen Instrumenten die Welt der Alten Musik erforschte und auf neue Art umsetzte.
Beharrlich, gegen viele Widerstände ankämpfend und Gewohnheiten in Frage stellend, erarbeitete er sich eine Position als Barock-Koryphäe und Pionier der Originalklang-Bewegung. Ab den 1970er Jahren vermittelte er sein musikalisches Lebensthema als Professor im Salzburger Mozarteum. Dann wieder hob er, etwa mit Regisseur Jürgen Flimm, höchst amüsante und detailreich verspielte Operetten-Inszenierungen aus der Taufe.
Zu Beginn des Jahrtausends überraschte er bei den Salzburger Festspielen mit einem düsteren Don Giovanni in der Regie von Martin Kusej und wurde in der Folge zum stilbildenden Regisseur von Mozartopern in der Festspielstadt.
Schliesslich machte er vor Alban Berg und George Gershwin nicht Halt und erforschte mit musikalischer Leidenschaft das 20. Jahrhundert: Harnoncourt habe «den Blues im Blut», jubelte etwa die Zeitung «Die Welt» 2009 überrascht über seine Interpretation des Musicals «Porgy and Bess» in Graz.
Harnoncourt führte in seiner Ahnenreihe mütterlicherseits zwar keinen Geringeren als den steirischen Habsburger-Erzherzog Johann und väterlicherseits die luxemburgisch-lothringischen Grafen de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt, wuchs aber materiell wenig begünstigt auf. Er wurde am 6. Dezember 1929 in Berlin geboren und verbrachte Kindheit und Jugend im österreichischen Graz.
Mit 17 Jahren entschied er sich für die Musik. Er lernte Cello, studierte an der Wiener Musikakademie und gründete als 20-Jähriger ein erstes Gamben-Quartett. Dass das rebellisch-verschrobene Interesse des jungen, als kritisch, eigenwillig und hoch intelligent beschriebenen Musikers einst die Interpretationsgeschichte prägen und ein lukrativer Trend würde, war in den kargen Anfangsjahren nicht abzusehen.
Monteverdi-Zyklus 1975 am Opernhaus Zürich schrieb Geschichte
Nach Jahren der aufreibenden Doppelexistenz als Cellist der Wiener Symphoniker mit enormen Dienstverpflichtungen und als Master Mind des hoch spezialisierten Concentus Musicus mit einer Vielzahl von eigenen Konzerten erntete Harnoncourt ab Mitte der 1970er Jahren die Früchte seiner Leidenschaft.
Sein Monteverdi-Zyklus am Opernhaus Zürich gemeinsam mit Regisseur Jean-Pierre Ponelle schrieb 1975 Aufführungsgeschichte und markierte den Beginn einer neuen Auseinandersetzung mit der Barockoper.
Als Leiter von Orchestern wie dem Concertgebouw-Orkest Amsterdam, dem Chamber Orchestra of Europe oder den Wiener und Berliner Philharmonikern wurde Harnoncourt zu einem Weltstar.
Als leidenschaftlicher Musiker und Lehrender kämpfte er um musikalische Tiefe. Als Musikphilosoph und Vater verwies er auf die Bedeutung der Kunst für das menschliche Dasein: «Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage - sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein». (SDA)