Sichtlich betroffen laufen Passanten über den Barbarossaplatz in Würzburg - den Schauplatz der brutalen Messerattacke eines jungen Mannes mit schlimmer Bilanz: drei tote Frauen und sieben Verletzte, darunter ein elfjähriges Mädchen.
Viele bleiben stehen und halten einige Minuten inne. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fasst zusammen: «Der Täter hat mit äusserster Brutalität gehandelt.» Und verspricht: «Für diese menschenverachtende Tat wird er durch den Rechtsstaat zur Verantwortung gezogen.»
Freitagnachmittag, gegen 17.00 Uhr: Mit einem langen Messer aus der Auslage eines Kaufhauses sticht der Verdächtige aus dem afrikanischen Somalia noch in dem Geschäft wohl ohne Vorwarnung auf Menschen ein. Der 24-Jährige attackiert zudem in einer nahe gelegenen Bank und auf der Strasse weitere, ihm offensichtlich völlig unbekannte Passanten.
Die Gewalttat ist am Wochenende in Würzburg überall Gesprächsthema - beim Bäcker, an Bushaltestellen, auf der Strasse. Eine Frau sagt, sie hoffe, die ausländische Herkunft des mutmasslichen Täters werde nicht zum Wahlkampfthema bestimmter Parteien gemacht.
Zwei Studentinnen äussern sich am Tatort dazu, dass viele Menschen Zivilcourage bewiesen hätten «und wirklich auch eingeschritten sind. Das fanden wir schon ziemlich beeindruckend, dass Menschen, die einfach wegrennen hätten können, auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um den anderen Menschen zu helfen, die sie auch nicht kannten.»
Kurz nach der Attacke ist der Somalier auf Videoclips in sozialen Netzwerken zu sehen. In der linken Hand das Messer, barfuss, etwas orientierungslos, schwankt er durch die belebte Innenstadt. Mutige Männer stellen sich dem Mann in den Weg, attackieren ihn mit einem Besen, schnappen sich Biertischstühle als Waffe. Womöglich verhindern sie so weitere Opfer. Kurz darauf streckt ein Polizist den Angreifer mit einem gezielten Schuss nieder, der 24-Jährige wird festgenommen.
Kellner Helmuth Andrew aus einer nahen Weinstube fackelt nicht lange, als er Schreie hört und ein Mann ruft: «Der sticht sie draussen alle tot!» Er greift sich nach eigenen Worten einen Stuhl und versucht, zusammen mit anderen Menschen, den Angreifer einzukesseln und zurückzudrängen. Videos dieser Szenen kursieren nach dem Angriff im Internet. Der Mann mit dem langen Messer habe «einen starren Blick gehabt», mit weit aufgerissenen Augen, erzählt Andrew. «So hat er die ganze Zeit die Leute angeguckt, ohne eine Mimik.»
Sein Kollege Olaf Velker erlebt das blutige Geschehen nach eigenen Worten in einer nahe gelegenen Bank. Er habe eine verletzte Frau gefunden, «vom Scheitel bis zur Sohle vollkommen blutüberlaufen», erzählt der 32-Jährige. «Es sah sehr, sehr schlimm aus.»
Respekt kommt von vielen Seiten für eine Zivilcourage, die - wie im Fall Dominik Brunner - aber auch gefährlich sein kann. Brunner war am 12. September 2009 in München von einem damals 18-Jährigen und dessen 17-jährigem Begleiter so heftig getreten und verprügelt worden, dass er später im Krankenhaus starb. Der Geschäftsmann hatte zuvor Schüler verteidigt, die von den jungen Leuten bedrängt worden waren.
Zivilcourage funktioniert bei Bedrohungen anderer Menschen nach den Worten des Sozialpsychologen Dieter Frey umso besser, je mehr gegen eine Gefahr aufbegehren. Das Einschreiten falle leichter, wenn man sich von anderen unterstützt fühle, sagt der Experte der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. In den Würzburger Filmausschnitten sind meist mehrere Menschen zu sehen, die sich dem Angreifer in den Weg stellen.
Was genau den Somalier antrieb, der seit 2015 in Deutschland lebt und zuletzt legal in einer Obdachlosenunterkunft in Würzburg wohnte, ist bisher ungewiss. Die Ermittler sprechen zum einen von einer psychischen Störung, zum anderen könnte eine islamistische Einstellung mitursächlich für den Angriff sein. «Es schliesst sich auch nicht unbedingt gegenseitig aus», sagt Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU).
(SDA)