Eigentlich ist es diplomatische Routine: Ein Staat nimmt es mit den Menschenrechten nicht so genau. Ein anderes Land äussert Kritik und kann so seine Werte zur Schau stellen. Mehr passiert nicht, das Leben geht weiter.
Nicht in diesem Fall. Als die kanadische Aussenministerin Chrystia Freeland am Donnerstag auf Twitter die Freilassung von saudischen Aktivistinnen fordert, löst sie damit eine diplomatische Krise aus. Kronprinz Mohammed bin Salman (32) in Riad reagiert äusserst harsch und lässt eine ganze Salve an Vergeltungsmassnahmen los.
Alle Saudi-Patienten verlassen Kanada
Zuerst muss der kanadische Botschafter Dennis Horak die saudische Hauptstadt verlassen – er bekommt am Montagmorgen 24 Stunden Zeit, seine Koffer zu packen. Am Abend dann verkündet die staatliche Fluglinie Saudia Airlines, alle Flüge von und nach Toronto einzustellen.
Und nun stoppt das Land sogar die medizinische Behandlung von saudischen Staatsbürgern in Kanada, wie die staatliche Nachrichtenagentur Spa am Mittwoch meldet. Die Patienten würden von Spitälern in anderen Ländern aufgenommen.
Zudem lässt die Regierung über den ihr nahestehenden TV-Sender «Al-Arabiya» verkünden, dass auch die etwa 15'000 saudi-arabischen Studenten in Kanada ihr Studium woanders weiterführen müssten. Zu guter Letzt wird der Handel zwischen den beiden Ländern auf Eis gelegt.
Terror-Anspielung auf Twitter
Für Stunk sorgte am Montag auch eine Fotomontage auf einem regierungsfreundlichen saudi-arabischen Twitter-Konto: Darauf war ein Flugzeug zu sehen, das auf die Skyline Torontos zusteuerte und damit offenbar an die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA anspielte. Dazu das Zitat: «Wer sich in etwas einmischt, das ihn nichts angeht, findet, was ihm nicht gefällt.» Zur Erinnerung: 15 der 19 Entführer von 9/11 waren saudische Staatsbürger.
Später erfolgte eine Entschuldigung des Accounts, der Tweet wurde gelöscht. Nachher wurde das Bild erneut gepostet, allerdings ohne das Flugzeug. Das saudi-arabische Medienministerium erklärte, den Vorfall zu untersuchen.
Am Anfang des Krachs stand die Verhaftung von mehreren Frauenrechtlerinnen – darunter Samar Badawi. Sie ist die Schwester des bekannten Bloggers Rafi-Badawi, der ebenfalls im Gefängnis sitzt. Seine Ehefrau und ihre drei Kinder haben vor kurzem die kanadische Staatsbürgerschaft erhalten.
Einschüchterungstaktik für andere Staaten
Eigentlich schien die Beziehung zwischen den beiden Ländern bis vor kurzem relativ gut: Kanadas Premier Justin Trudeau hatte im März einen 10-Milliarden-Euro-Waffendeal seiner Vorgängerregierung bestätigt. Dafür muss er jetzt im eigenen Land viel Kritik einstecken.
Mit der Trump-Regierung hingegen hat Mohammed bin Salman nach wie vor glänzende Beziehungen. Laut Experten ermutigt das den Kronprinzen zu einer aggressiven Aussenpolitik. Er will andere Staaten offenbar abschrecken, sein Land zu kritisieren. (rey/SDA)