Bei der Parlamentswahl in Berlin sind die Christdemokraten erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten wieder stärkste Kraft geworden. Nach Hochrechnungen von ARD und ZDF von Sonntagabend liegt die CDU mit Spitzenkandidat Kai Wegner deutlich vor SPD und Grünen, die sich ein enges Rennen um Platz zwei liefern.
Dahinter landet die Linke, die mit Sozialdemokraten und Grünen seit 2016 in der Hauptstadt regiert. Die AfD ist sicher wieder im Abgeordnetenhaus der deutschen Hauptstadt vertreten, die FDP muss dagegen laut den Hochrechnungen um den Einzug bangen.
Wegen schwerwiegender Wahlpannen hatte das Landesverfassungsgericht die Wahl des Landesparlaments vom September 2021 und die Bezirkswahlen für ungültig erklärt – und eine Wiederholung angeordnet. Damals hatten lange Warteschlangen vor Wahllokalen sowie fehlende, vertauschte oder kopierte Stimmzettel bundesweit Schlagzeilen gemacht. Berlin ist in Deutschland ein eigenes Bundesland.
Den erste Hochrechnungen nach gewinnt die CDU bei der Wiederholungswahl deutlich hinzu und kommt auf 27,5 bis 27,8 Prozent (2021: 18,0 Prozent). Die SPD von Bürgermeisterin Franziska Giffey liegt bei 18,1 bis 18,4 Prozent (21,4), und steuert damit auf ein historisches Tief zu.
Die Grünen landen bei 18,4 bis 18,9 Prozent (18,9). Die Linke rutscht leicht auf 12,6 bis 12,8 Prozent ab (14,1). Die rechtspopulistische AfD legt dagegen leicht zu auf 9 bis 9,1 Prozent der Wählerstimmen (8,0). Die FDP verliert den Hochrechnungen zufolge und muss mit 4,5 bis 5,0 Prozent fürchten, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern (2021: 7,1).
Kann die CDU ein Regierungsbündnis schmieden?
Wahlberechtigt zur Abgeordnetenhauswahl waren etwa 2,4 Millionen Menschen. Die Wahlbeteiligung lag laut den Prognosen bei 63,5 bis 65 Prozent. 2021 waren es 75,4 Prozent, doch wurde in dem Jahr gleichzeitig auch der Bundestag gewählt.
CDU-Generalsekretär Mario Czaja erhob den Anspruch, dass die CDU die künftige Regierung in Berlin anführt. «Der Regierungsauftrag liegt bei Kai Wegner», sagte Czaja am Sonntag in der ARD. «Die jetzige Regierung ist abgewählt.» Die CDU könne nun in Berlin Verantwortung übernehmen. Die Stadt brauche eine Koalition, «die nicht trennt, die zusammenführt». Jeder Anstand verbiete es, dass die noch amtierende Regierung von SPD, Grünen und Linke ihre Arbeit fortsetze.
Noch ist aber offen, ob die CDU ein Regierungsbündnis schmieden kann. SPD und Grüne hatten angedeutet, dass sie ihre Koalition mit der Linken auch im Fall eines CDU-Siegs fortsetzen wollen, wofür die Mehrheitsverhältnisse auch reichen würden. Die CDU käme mit SPD oder Grünen auf eine Mehrheit für ein Zweierbündnis.
Eine Neuauflage dieser Koalition wäre eine Kampfansage an CDU-Spitzenmann Wegner, der die CDU nun wieder nach vorn geführt hat. Der 50-Jährige ist gebürtiger Berliner, verheiratet, Vater dreier Kinder und lebt im Bezirk Spandau. Ausserhalb der Stadt ist der Hertha-BSC-Fan wenig bekannt.
Debatte um Silvesternacht war Wahlkampf-Thema
Ganz anders Giffey, die im Wahlkampf versucht hatte, mit ihrem Amtsbonus zu punkten. Die 44-jährige SPD-Landeschefin, die in der DDR geboren wurde und im Osten Brandenburgs aufwuchs, war Bürgermeisterin im Bezirk Neukölln und stieg 2018 zur Bundesfamilienministerin auf. Wegen einer Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit trat Giffey im Mai 2021 aus dem Kabinett zurück.
Die 54-jährige Umweltsenatorin Bettina Jarasch hat – sollten die Grünen zweitstärkste Kraft werden – die Option, erste Grünen-Regierungschefin in Berlin zu werden und Giffey abzulösen. Die gebürtige Augsburgerin steht für eine Verkehrswende weg vom Verbrenner-Auto und einen ehrgeizigen Kampf gegen die Erderhitzung – was die politische Schnittmenge mit FDP und CDU verkleinert.
Der Erfolg der Berliner CDU dürfte der Bundespartei und dem Vorsitzenden Friedrich Merz Auftrieb geben, denn in diesem Jahr stehen drei Landtagswahlen in Bremen, Hessen und Bayern an. Für die SPD im Bund ist das Ergebnis ein Dämpfer, weil Giffey ihren Posten als Regierungschefin in Berlin verlieren könnte. Die Bundes-FDP muss sich nach einer Reihe empfindlicher Wahlschlappen darauf vorbereiten, möglicherweise ein weiteres Mal aus einem Landesparlament zu fliegen.
Grosses Thema des kurzen Wahlkampfs war neben der Mieten- und Verkehrspolitik eine scharfe Debatte über die Silvesternacht, in der Krawallmacher Polizei und Rettungskräfte attackiert hatten. Auch bundesweit wurde aufgeregt über Jugendgewalt, Täter mit Migrationshintergrund und Integrationsprobleme diskutiert. Besonders stark polarisierte die Landes-CDU, die die Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit erfragte. Weil es keine Neuwahl ist, ändert sich nichts an der Legislaturperiode: Sie endet 2026, also fünf Jahre nach der Wahl 2021. (SDA)