Die Nato leitet nach der Rückzugsentscheidung der USA das Ende ihres Einsatzes in Afghanistan ein. Die Alliierten hätten entschieden, mit dem Abzug aus dem Land zu beginnen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Mittwochabend nach einer Videokonferenz der Aussen- und Verteidigungsminister der 30 Bündnisstaaten von Diplomaten.
US-Präsident Joe Biden hatte zuvor ankündigen lassen, dass die USA als grösster Truppensteller in dem Krisenstaat ihre Soldaten nach 20 Jahren zum 11. September nach Hause holen – dem 20. Jahrestag der Terroranschläge von New York und Washington. Für die Nato-Partner wäre eine Fortführung des Einsatzes deswegen nur noch mit erheblichen Zusatzkosten und Risiken möglich gewesen.
Am Mittwoch hielt Biden im weissen Haus eine Rede zum Rückzug: «Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden. Es ist Zeit für die amerikanischen Truppen, nach Hause zu kommen.» Man könne die Militärpräsenz nicht immer wieder in der Erwartung verlängern oder vergrössern, die «idealen Bedingungen» für einen Abzug zu schaffen. Ziel des Afghanistan-Einsatzes sei gewesen sicherzustellen, dass das Land nicht wieder ein Ort sein könne, von dem aus Terroristen die USA angreifen könnten. «Das haben wir gemacht», sagte er. «Wir haben das Ziel erreicht.»
Afghanistan reagiert zurückhaltend
Der US-Präsident betonte zugleich: «Obwohl wir in Afghanistan nicht weiter militärisch involviert sein werden, wird unsere diplomatische und humanitäre Arbeit weitergehen.» Die USA würden Afghanistans Regierung, die Sicherheitskräfte und auch die Friedensverhandlungen mit den Taliban weiter unterstützen.
Afghanistan nimmt die Entscheidung der Nato zurückhaltend hin. Die Islamische Republik Afghanistan respektiere die US-Entscheidung, schrieb der afghanische Präsident Aschraf Ghani nach einem Telefongespräch mit dem US-Präsidenten Joe Biden am Mittwoch auf Twitter.
Zurzeit sind noch etwa 10 000 reguläre Soldaten aus Nato-Ländern und Partnernationen in Afghanistan. Sie sollen die demokratisch gewählte Regierung durch die Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften in ihrem Kampf gegen islamistische Extremisten wie die Taliban unterstützen. Deutschland hat zurzeit rund 1100 Soldaten vor Ort und ist damit der zweitgrösste Truppensteller nach den USA.
«Gehen gemeinsam rein und gemeinsam raus»
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte bereits vor der Nato-Vidoekonferenz klargemacht, dass der Abzug der US-Soldaten zwingend den Abzug der Bundeswehr nach sich zieht. «Wir haben immer gesagt: Wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus», sagte die CDU-Politikerin im ARD-«Morgenmagazin».
Mit der Entscheidung steht für die Bundeswehr der verlustreichste Einsatz ihrer Geschichte vor dem Ende. 59 deutsche Soldaten liessen in Afghanistan ihr Leben, von ihnen wurden 35 in Gefechten oder bei Anschlägen getötet. Afghanistan ist zudem der zweitlängste Auslandseinsatz der Bundeswehr nach der Kosovo-Mission, die bereits 1999 begann.
Mit Spannung wird nun erwartet, welche Konsequenzen die Abzugsentscheidung für die laufenden Friedensverhandlungen der afghanischen Regierung mit den militant-islamistischen Taliban hat. Als ein Risiko wird gesehen, dass die Taliban kurz nach einem Truppenabzug mit Waffengewalt die Macht übernehmen könnten. Für die junge Demokratie in Afghanistan und Fortschritte bei Frauenrechten oder Medienfreiheit dürfte eine solche Entwicklung der Todesstoss sein. (SDA)