In der Nacht auf heute ist es zwischen den Niederlanden und der Türkei zu einem diplomatischen Eklat gekommen. Die Beziehungen zwischen den Nato-Verbündeten stürzten auf einen beispiellosen Tiefstand ab.
Die türkische Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya (36) hatte sich gestern Abend per Auto von Deutschland aus nach Rotterdam begeben, nachdem zuvor dem Aussenminister Mevlüt Cavusoglu die Landung in den Niederlanden verboten wurde.
Die Niederlande hatten einem Auftritt Cavusoglu, der für das Präsidialsystem in der Türkei werben wollte, eine Absage erteilt. Dennoch versuchte er einzureisen.
Auch einen Auftritt Kayas verhinderten die niederländischen Behörden, indem sie ihren Dienstwagen blockierten, sie nicht ins türkische Konsulat liessen und sie des Landes verwiesen.
Nach stundenlangen Verhandlungen zeigte sie sich bereit, wieder Richtung Deutschland abzureisen. Die Polizei begleitete Kaya an die Grenze.
Danach sei die Ministerin vom Flughafen Köln-Bonn aus in einem privaten Flugzeug zurück in die Türkei geflogen, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu heute Morgen berichtete.
Auf Twitter schrieb Kaya zum Vorfall: «Demokratische und menschliche Werte werden an der Grenze zu Deutschland in Nijmegen mit Füssen getreten. Ich verurteile es im Namen aller unserer Bürger.»
«Unverantwortlicher» Besuch
Rotterdams Bürgermeister Ahmed Aboutaleb sagte in der Nacht auf heute: Es sei nicht gelungen, eine Lösung im Streit um Kayas Einreise zu finden. Die niederländischen Behörden hätten der türkischen Seite wiederholt klargemacht, dass die Ministerin in dem Land «nicht willkommen» sei. Dennoch sei sie eingereist.
In einer in der Nacht verbreiteten Erklärung stufte die niederländische Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte den Besuch der Ministerin als «unverantwortlich» ein. Ihr sei schon vor ihrer Ankunft erklärt worden, dass ihr Wahlkampfauftritt im türkischen Konsulat «unerwünscht» sei.
Der Auftritt Cavusoglus im Konsulat wiederum sei durch die öffentliche Androhung von Sanktionen aus Ankara «unmöglich» geworden. «Die Suche nach einer angemessenen Lösung erwies sich als unmöglich. Die verbalen Angriffe von den türkischen Behörden, die daraufhin erfolgten, sind nicht akzeptabel.»
In Rotterdam versammelten sich derweil vor dem Konsulat mehr als tausend Personen, hauptsächlich Türken. Nach Angaben der niederländischen Nachrichtenagentur ANP rief ein türkischer Abgeordneter die Demonstranten auf, solange zu bleiben, bis die Ministerin zu ihnen spricht.
Einige der Demonstranten griffen Sicherheitskräfte mit Steinen und Blumentöpfen an. Sie wurden festgenommen. Zur Auflösung der Demonstration setzte die Polizei Schlagstöcke und Wasserwerfer ein. Die meisten der über 1000 Demonstranten zogen jedoch friedlich ab.
Erdogan: «Ihr lernt noch, was Diplomatie ist»
Nach dem Eklat um Kayas Einreise forderte Cavusoglu umgehend eine Entschuldigung von den Niederlanden. «Wir werden auf jeden Fall Schritte einleiten, wir werden weitreichende Schritte einleiten und danach wird sich Holland bei der Türkei entschuldigen», sagte Cavusoglu nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu vor Journalisten im französischen Metz.
Solange sich Holland nicht entschuldige, werden die Türkei diese Schritte weiter gehen, so der Aussenminister weiter. Welche Massnahmen er genau plane, sagte Cavusoglu aber nicht.
Als Reaktion auf die diplomatische Krise mit Den Haag riegelten die türkischen Behörden die niederländische Botschaft in Ankara und das Konsulat in Istanbul ab. Die Zugänge seien «aus Sicherheitsgründen» gesperrt worden, hiess es aus dem türkischen Aussenministerium. Gleiches gelte für die Residenzen des Geschäftsträgers der Botschaft und des Konsuls.
Das Aussenministerium bestellte am Abend zudem den niederländischen Geschäftsträger in Ankara ein. Ihm wurde mitgeteilt, dass eine Rückkehr des niederländischen Botschafters, der sich zurzeit nicht in der Türkei aufhält, unerwünscht sei.
Ministerpräsident Binali Yildirim drohte den Niederlanden derweil mit weiteren Konsequenzen. Sein Land werde «härteste Vergeltung üben» und das «inakzeptable Verhalten mit gleicher Münze heimzahlen», teilte Yildirim heute Morgen mit.
Am Nachmittag doppelte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der seine Macht mit der geplanten Verfassungsänderung stark ausbauen will, schliesslich nach: «Hey Holland, wenn Ihr die türkisch-niederländischen Beziehungen vor den Wahlen am Mittwoch opfert, werdet Ihr den Preis dafür bezahlen», sagte Erdogan in einer Rede bei einer Preisverleihung in Istanbul. Die Niederlande würden noch lernen, was Diplomatie ist.
Zuvor hatte Erdogan die Niederländer wiederholt als «Faschisten» beschimpft und mit Landeverboten für niederländische Flugzeuge in der Türkei gedroht.
Cavusoglu-Auftritt in Frankreich?
Nach der Absage eines Auftritts in der Schweiz soll der türkische Aussenminister Cavusoglu heute vor Landsleuten bei einer genehmigten Veranstaltung im französischen Metz sprechen. Dort ist nach Angaben der Behörden kein Verbot geplant. (SDA/gr/bö)