Obwohl er nicht gewählt wurde, gilt er nicht länger als unwählbar: Jeremy Corbyn (68) von der Labour-Partei vermieste Premierministerin Theresa May (60) am Donnerstag gewaltig den Sieg. Unter Corbyn gewann Labour mehr als 30 Sitze, während Mays Konservative mehr als ein Dutzend verlor. Nun kommt es zum politischen Patt. Für May ein Debakel. Und Corbyn steht als Sieger da, obwohl er nichts gewann.
Dabei nahmen die Briten den urlinken Corbyn lange nicht ernst. Er galt als marxistischer, pazifistischer Spinner, der sozialromantischen Ideen aus den 70ern nachhängt – dieses Bild zeichnete zumindest die rechte Murdoch-Presse, die unentwegt auf ihn einprügelt.
Am Wahltag etwa zeigte die Boulevard-Zeitung «The Sun» Corbyn auf dem Titelbild, wie er in einer Mülltonne verschwand, darüber das miserable Wortspiel: «Don't chuck Britain in the Cor-Bin» («Werft Britannien nicht in die Corbyn-Tonne») und schonungslose Schlagworte: «Terroristen-Freund, Jobvernichter, marxistischer Extremist».
Der vegetarische Schrebergärtner
Corbyn ist ein politisches Urgestein, bereits seit 34 Jahren sitzt er im britischen Unterhaus als Vertreter des Londoner Wahlbezirks Islington North. Als Hinterbänkler war er berüchtigt als Aktivist und Rebell, der oft gegen seine eigene Partei stimmte – selbst dann, wenn sie an der Macht war wie unter Tony Blair (64) und Gordon Brown (66).
Berühmt ist sein lauter Protest gegen den Irak-Krieg 2003, in den der damalige Premier Blair bereitwillig ziehen wollte. Vehement widersetzt er sich der Sparpolitik der Konservativen. Zudem ist Corbyn bekennender Vegetarier mit einem eigenen Schrebergarten in Nordlondon, wo er Gemüse anbaut und Früchte, aus denen er seine eigene Konfitüre macht.
Corbyn führte die Wahlkampagne seines Lebens
Einzig beim Brexit haderte Corbyn: Lange galt er als EU-Skeptiker, er war gegen den Maastricht- und die Lissabonverträge und kritisierte die EU bei der Griechenland-Krise hart. Vor dem Brexit-Referendum schwenkte er aber auf Parteilinie und sprach sich für den EU-Verbleib aus.
Unter Corbyn, sagten seine Kritiker, erleidet Labour bei Wahlen Schiffbruch. Selbst innerhalb der Partei liessen die Moderaten an ihm kein gutes Haar. Tatsächlich befand sich die zerstrittene Partei in einem historischen Tief, als Premierministerin Theresa May im April Neuwahlen ausrief.
Doch in den letzten Wochen mobilisierte Corbyns eigene «Momentum»-Bewegung massiv, Corbyn führte die Wahlkampagne seines Lebens sichtlich mit Spass – und Labour legte in den Umfragen wieder zu. Vor allem bei jungen Wählern kam Corbyns Prinzipientreue und authentischer Auftritt gut an. Einmal mehr hat er alle überrascht – indem er sich treu blieb.