Die beruhigende Nachricht zuerst: Der Zustand des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico (59) hat sich stabilisiert. Fico war am Mittwoch auf offener Strasse angeschossen und schwer verletzt worden. Beim Täter soll es sich laut Innenminister Matus Sutaj Estok (37) um einen 71-jährigen Mann handeln, der ein «klar politisches Motiv» gehabt habe, nämlich die Ablehnung der Regierungspolitik.
Doch die beunruhigende Nachricht folgt sogleich: Das Attentat dürfte in der Slowakei zu neuen Unruhen und zu massivem Druck auf Medien führen, die mit der Regierung im Clinch stehen. Peter Bardy (47), Chefredaktor der Nachrichten-Website Aktuality, sagt gegenüber Blick: «Der Angriff auf Robert Fico wird von einigen Politikern der Regierungskoalition benutzt, um die Drohungen gegen Medien und die Opposition zu verschärfen, die sie für das Attentat verantwortlich machen.»
Vor allem unabhängige Medien wie Aktuality müssten sich in Acht nehmen, meint Bardy. «Aktuality gehört zu den Medien, die von Regierungspolitikern als feindlich bezeichnet werden.» Seine Redaktion stehe unter Beschuss durch hasserfüllte Äusserungen von Anhängern Ficos und der Regierung. Er habe daher umgehend Massnahmen eingeführt, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen.
Ringier-Journalist ermordet
Aktuality gehört zum Ringier-Verlag und ist die Plattform, bei der der 2018 zu Hause ermordete Journalist Jan Kuciak (1990–2018) gearbeitet hatte. Kuciak arbeitete an Recherchen über Verbindungen der italienischen Mafia bis in höchste slowakische Regierungskreise.
Nach der Exekution von Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova (1990–2018) trat zuerst der Innenminister zurück, dann – nach Protesten mit Zehntausenden von Menschen – auch Robert Fico. Er amtete damals schon zum zweiten Mal als Ministerpräsident und viele sahen ihn als das Gesicht eines korrumpierten Staates.
Beruhigung trat nicht ein
In der Slowakei hoffte man nach dem Regierungswechsel 2018 auf eine Beruhigung der Lage und eine Regierung ohne Korruption. Bardy: «Ganze Plätze protestierten für einen anständigen Staat – aber er ist nicht gekommen.» Corona, die Inflation, die Energiekrise und der Ukraine-Krieg hätten es Populisten, Rechtsextremen und Verschwörern leicht gemacht, Hassreden gegen Politiker, Medien, Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen zu verbreiten.
• Fläche: 49'035 km² (Schweiz: 41'285 km²)
• Einwohner: 5,5 Millionen (Schweiz: 8,9 Millionen)
• BIP* pro Kopf: 21'053 Dollar (Schweiz: 102'865 Dollar)
• Sprache: Slowakisch
• Währung: Euro
* Bruttoinlandprodukt nominal
• Fläche: 49'035 km² (Schweiz: 41'285 km²)
• Einwohner: 5,5 Millionen (Schweiz: 8,9 Millionen)
• BIP* pro Kopf: 21'053 Dollar (Schweiz: 102'865 Dollar)
• Sprache: Slowakisch
• Währung: Euro
* Bruttoinlandprodukt nominal
So wurde auch die Aufklärung des Doppelmordes verschleppt. Es erhärtete sich zwar der Verdacht, dass der Unternehmer Marian Kocner (60), der Kuciak wegen eines Artikels bedroht hatte, den Mordauftrag erteilt hatte. Kocner wurde aber überraschend freigesprochen und wegen ganz anderer Verbrechen wie Wirtschaftsbetrug zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt.
Nach fünf Jahren kam das linkspopulistische Stehaufmännchen Fico 2023 zum dritten Mal als Ministerpräsident an die Macht.
Weitere Attentate befürchtet
Politologe Miroslav Radek von der Alexander-Dubcek-Universität in Trencin (Slowakei) schliesst nach dem jüngsten Attentat Unruhen nicht aus, wie er gegenüber Blick sagt. Radek: «Ich befürchte, dass die Schüsse auf den Ministerpräsidenten in Handlova nicht die einzigen waren und es nach mehreren gewalttätigen Ereignissen zu weiteren gegenseitigen Angriffen kommen wird.» Die weitere Entwicklung werde hauptsächlich von den Signalen und Aufrufen der Regierungsmitglieder abhängen.
Ulf Brunnbauer, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg, bezeichnet den Anschlag als eine «tiefe Zäsur in der Geschichte der unabhängigen Slowakei». Er rechnet damit, dass er die Polarisierung weiter vorantreiben und zur Einschränkung von Freiheiten führen werde.
Dass der Chef der nationalistischen Regierungspartei SNS Journalisten einer regierungskritischen Tageszeitung als «ekelhafte Schweine» bezeichnet und von «Krieg» spricht, giesse weiteres Öl ins Feuer. Solche Rhetorik, die vor allem vonseiten rechtsextremer Parteien auch in andern Ländern für die Verrohung des politischen Diskurses sorge, müsse zu denken geben. Brunnbauer: «Das Attentat in der Slowakei ist daher ein Weckruf für ganz Europa.»