Die Schweiz ist an der Berufs-WM eine Macht: Bei den letzten sechs Austragungen gewann sie zweimal Gold, zweimal Silber, zweimal Bronze. Morgen jagen in São Paulo wieder 1000 junge Menschen aus aller Welt in 46 Berufen Edelmetall. Anne-Juliette, Marco, Thushjandan und Angela sind vier von 40 Schweizer Talenten. «Unsere Vertreter kommen alle aus einer Lehre und sind es gewohnt, spontan und flexibel zu reagieren. Das ist ihr grosser Vorteil am Wettkampf», sagt Ueli Müller, Generalsekretär von Swissskills.
Die zum grössten Teil vom Bund getragene Stiftung organisiert die WM-Teilnahme unserer Delegation. «Unsere Teilnehmer sind Botschafter für Schweizer Qualität, unser Berufsbildungssystem und für die Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft.»
Das duale Berufsbildungssystem, in dem die praktische Ausbildung mit der Schule kombiniert wird, ist das Herz der Schweizer Wirtschaft. Zwei Drittel aller Schweizer Teenager entscheiden sich für eine Lehre. Letzte Woche starteten 71 000 junge Menschen in diesen ersten Abschnitt ihres Berufslebens.
Die Besten schaffen es an die WM. Dort zeigen sie an vier Tagen je fünf Stunden lang ihr Können. Und nehmen gleich mehrere Sprossen auf der Karriereleiter: «Wer hier teilnimmt, ist in der Branche bekannt und kann sich die Stellen danach aussuchen», sagt Ueli Müller.
Anne-Juliette Muggli, 21: Kosmetikerin
Sie kümmert sich jeden Tag um die Schönheit ihrer Kundschaft. Selber mag sie es natürlich: «Ich muss nicht mit Make-up-Vollmontur einkaufen gehen. Nur Puder trage ich meistens», sagt Anne-Juliette Muggli, die in São Paulo die Jury unter anderem mit einem brasilianischen Karneval-Make-up überzeugen muss. Für die Weltmeisterschaft musste sie viel Neues lernen. Zum Beispiel die hawaiianische Lomi-Lomi-Massage, bei der vor allem mit den Unterarmen gearbeitet wird. «Das Training für die WM war für mich eine einzige grosse Weiterbildung. Das finde ich super.» Seit Anfang Jahr arbeitete sie 80 Prozent, am freien Tag trainierte sie mit ihrer Chefin. Für den Lohnausfall kam der Schweizer Fachverband für Kosmetik auf. Zweimal arbeitete Muggli an Messen vor Publikum, «dank dieser Erfahrung kann ich mit den ungewohnten Rahmenbedingungen an der WM sicher besser umgehen». Gewinnen würde sie natürlich gerne, sagt sie. «Aber da bin ich wohl nicht die Einzige.»
Thushjandan Ponnudurai, 20: Informatiker
«Haben Sie den Computer schon aus- und wieder eingeschaltet?» Wie oft hat Thushjandan Ponnudurai diese Frage während seiner Informatikerlehre an der Universität Bern den Anrufern gestellt. «Hilft meistens», sagt er und lacht.
In São Paulo erwarten ihn komplexere Aufgaben: Er muss an den vier Tagen ein Unternehmensnetzwerk bauen. Das heisst, er erhält einen Haufen Hardware und muss daraus ein Netzwerk konfigurieren, wie es Angestellte einer Firma nutzen könnten. Der grösste Fallstrick sei die Reihenfolge: «Wenn ich etwas zu schnell einstelle und dann ein Detail vergesse, verliere ich sehr viel Zeit mit der Fehlersuche. Das liegt nicht drin.» Nach seinem Lehrabschluss im letzten Sommer nahm Ponnudurai an der Fachhochschule Luzern das berufsbegleitende Informatikstudium auf. Um mehr Zeit fürs WM-Training zu haben, unterbrach er das Studium, daneben arbeitet er 60 Prozent an der Uni Bern weiter. «Die WM hat für mich einen sehr hohen Stellenwert. Ich erwarte einen Vorteil im Lebenslauf», sagt der junge IT-Crack. Er sei kein Gamer oder Nerd, «der Computer war für mich immer mehr Arbeitsinstrument als Hobby». Nach dem Studium würde er gern bei einer Grossfirma anheuern, «um dort komplexere Netzwerke einzurichten».
Marco Signer, 18: Möbelschreiner
Er hat noch nicht einmal die Lehre abgeschlossen – und vertritt schon die Schweiz als Bester seines Fachs: Der junge Schreinerlehrling Marco Signer hat sich von der Regionalausscheidung bis zur Schweizer Meisterschaft gegen 900 Mitbewerber durchgesetzt. «Mir ist nicht so wichtig, der Beste von 900 zu sein. Ich finde es viel schöner, Botschafter für den Schreinerberuf zu sein.»
Zweieinhalb Monate hat er Vollzeit trainiert für die WM, sein Lehrbetrieb gab ihm dafür bezahlten Urlaub. «Man muss schon viel Freude daran haben», sagt er. «Oft stand ich von frühmorgens bis acht oder neun Uhr abends in der Bude. Da bleibt nicht viel Zeit für anderes.» Marco Signer ist als Sohn eines Zimmermanns auf einem Bauernhof aufgewachsen, er habe deshalb schon früh zu Hause mit Holz gearbeitet. «Der Werkstoff fasziniert mich, und ich mag es, am Abend ein Ergebnis zu sehen.» In São Paulo muss er ein Schränklein mit Türchen und Schubladen schreinern. Die Knacknuss: viele verschiedene Holzverbindungen. Seine härteste Konkurrenz kommt aus Südkorea, «die trainieren zum Teil zwei Jahre Vollzeit für diese vier Tage». Er frage sich oft, wie gut die anderen seien, sagt Signer. «Aber das kann mir bis zur Rangverkündigung keiner beantworten.»
Angela Jans, 21: Carrosserie-Lackiererin
Ein Autofreak ist die 21-jährige Angela Jans nicht. Trotzdem steht sie jeden Tag in der Autogarage – als Carrosserie-Lackiererin. Dass das so kam, war lange nicht absehbar: Sie absolvierte das zehnte Schuljahr, schnupperte als Hochbauzeichnerin, Servicefachangestellte, Logistikerin, Detailhandelsangestellte. «Bis mir ein Lehrer meinen jetzigen Beruf empfahl.» Und er traf damit ins Schwarze: Angela Jans gewann als erste Frau die Schweizer Meisterschaft der Carrosserie-Lackierer. «Das finde ich schon sehr cool. Es zeigt, dass Frauen in diesem Beruf genauso gut sind wie Männer. Oder vielleicht sogar noch besser.» Schliesslich brauche ihr Job viel Feingefühl, man müsse sehr genau arbeiten.
In Brasilien muss sie unter anderem eine Autotüre nach einem vorgegeben Muster lackieren. Seit Anfang Jahr trainierte sie einen Tag pro Woche, je näher die WM kam, desto intensiver. Ihr grösster Gegner ist die Zeit: «Die höchstmögliche Qualität in möglichst kurzer Zeit hinzukriegen, ist das Schwierigste.»
Deshalb hat sie alle Arbeitsschritte immer wiederholt, schneller und schneller. Letztes Jahr gewann die Schweiz in ihrer Disziplin Gold. «Klar, gibt das Druck. Aber ich will nicht, dass der in Angst umschlägt. Ich will dieses besondere Erlebnis geniessen.» Nach der WM beginnt Jans berufsbegleitend mit der Berufsmatura und sucht einen neuen Job – als Lackiererin.