An diesem Mittwoch kurz vor 17 Uhr MEZ will Russland sein Forschungsmodul mit dem Namen «Nauka» (Wissenschaft) zur Internationalen Raumstation (ISS) schicken. Eine Trägerrakete vom Typ Proton-M soll das 13 Meter lange Labor vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur in der Steppe der zentralasiatischen Republik Kasachstan zum Aussenposten der Menschheit in 400 Kilometer Höhe bringen. Der Flug soll acht Tage dauern.
Lange ist in Moskau gerätselt worden, ob das fliegende Labor überhaupt jemals zum Einsatz kommt. Unzählige Male sind geplante Starttermine gestrichen worden, weil Probleme auftauchten oder Geld fehlte. Zuletzt hatte Russland seine künftige Beteiligung an der ISS infrage gestellt - und sich bis heute nicht eindeutig positioniert, wie lange die stolze Raumfahrtnation ihren Teil der Station betreiben will. Der Vertrag dazu läuft 2024 aus.
Europas langjähriger Raumfahrtchef Jan Wörner sieht den Start des Moduls als wichtiges Signal über den Tag hinaus. «Ich werte Nauka als klar positives Zeichen für eine längere Nutzung der ISS vonseiten Russlands», sagt der Ex-Leiter der Europäischen Raumfahrtagentur Esa.
Die Spitzen der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos dürften jedenfalls aufatmen, wenn «Nauka» in der kommenden Woche die ISS erreicht hat. Kritiker monieren schon seit Jahren, dass die Technik des Labors längst überholt ist. Mit dem Bau war bereits 1995 begonnen worden. Es war damals aber nur zu 70 Prozent fertig gestellt worden.
Ursprünglich sollte es schon 2007 fliegen. «Nauka» ist das Schwestermodul von «Sarja», das 1998 als erstes Segment ins All gebracht worden war. Das letzte Mal hatte Russland 2010 ein neues Modul zur ISS geflogen.
«Nauka» soll am russischen Segment angebracht werden. Für die Fertigstellung wird mit mehreren Ausseneinsätzen russischer Kosmonauten gerechnet. Als Mehrzweckmodul ist es vorrangig für die Forschung gedacht. Es soll aber auch als Mannschaftsquartier mit eigenem Lebenserhaltungssystem dienen. «Nauka» misst 13 mal 4,11 Meter bei einem Gewicht von mehr als 20 Tonnen.
Das fliegende Labor verfügt unter anderem über den Roboterarm European Robotic Arm (ERA), der von der Esa entworfen wurde, und grosse Solarpaneele. Es können auch Sauerstoff und Wasser produziert werden. Und die Raumfahrer verfügen dann über eine zusätzliche Toilette - nicht unwichtig, wenn künftig wieder Touristen die ISS besuchen sollten.
Unklar ist angesichts der doch betagten Technik, ob das Modul in einigen Jahren für die geplante neue russische Raumstation Ross genutzt werden könnte - zumal diese Station laut vorläufigen Planungen in einem gänzlich anderen Orbit fliegen soll.
Doch Russland braucht gute Nachrichten. Die Raumfahrtnation dürfte sich durch die jüngsten Erfolge von China und der USA herausgefordert sehen und den Start von «Nauka» auch als Lebenszeichen verstehen. In der Branche hatte man zuletzt nicht mehr den Eindruck, dass Russland bei der Erforschung des Weltalls vorne mitspielt. Mit der Mission dürfte sich für die bemannte russische Raumfahrt vieles entscheiden.
Unter russischen Wissenschaftlern wuchs zuletzt der Unmut. «Wir waren in den vergangenen Jahrzehnten allgemein unzufrieden mit dem, was wir bei der Entwicklung und Erforschung des Weltraums geleistet haben», sagte im Frühjahr der Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften, Alexander Sergejew, der Staatsagentur Tass. «Dies liegt in erster Linie daran, dass es wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt.» Staatschef Wladimir Putin forderte zuletzt mehr Tempo, damit Russland nicht von anderen Raumfahrtnationen abgehängt wird.
Auch Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin dürfte unter Druck stehen. Zuletzt wurde an der Fertigstellung des Moduls in drei Schichten gearbeitet. Rogosin dürfte sich dabei gerne den Erfolg ans Revers heften, ein seit 20 Jahren laufendes Projekt endlich abzuschliessen.
Offen ist, ob Moskau mit dem Start von «Nauka» nun doch bis mindestens 2028 an der ISS festhalten will, wie es sich bis zum Frühjahr angedeutet hatte. Rogosin knüpfte noch vor wenigen Wochen eine Verlängerung über das bislang geplante Jahr 2024 hinaus an die Aufhebung von US-Sanktionen gegen russische Raumfahrtunternehmen. Davon ist zumindest kurz vor dem Start des Labor-Moduls keine Rede mehr gewesen.
Stattdessen erinnert Russland nun an glanzvolle Zeiten, etwa als Juri Gagarin 1961 als erster Mensch ins All geflogen war. Die Proton-Rakete trägt die Aufschrift «60 Jahre Erster Flug des Menschen in den Kosmos 1961-2021». Sie gilt mittlerweile aber als Auslaufmodell und soll mittelfristig von der Angara abgelöst werden.
(SDA)