EU-Innenkommissar Dimitris Avramopolous ist sauer: «Wir alle wussten, dass das passieren kann», sagt er nach den Anschlägen in Brüssel. Er findet, die EU Staaten arbeiten zu wenig zusammen, wenn es um die Verhinderung von Terror-Attacken geht – und er dürfte mit seiner Kritik nicht ganz daneben liegen.
Nur fünf Geheimdienste von EU-Staaten gleichen ihre Daten automatisch mit dem Schengener-Informationssystem (SIS II) ab. Diese Zahl nannte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière, ebenso wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga, als es im letzten Herbst um verstärkte Kontrollen an der EU-Aussengrenze ging. Die Schweiz beteiligt sich gemäss Sommaruga ebenfalls am automatischen Datenaustausch.
Die anderen 23 EU-Staaten füttern die Datenbank demnach nur selektiv und halten Informationen zurück. Nach den Anschlägen von Paris traf sich die EU-Führung und beschloss eine engere Zusammenarbeit – doch die Staaten scheinen sich Zeit zu lassen.
«Alle EU-Länder müssen mitmachen»
Wie sehr sich die EU-Länder zieren, bei der Verbrechensbekämpfung mit anderen zusammenzuarbeiten, zeigt ein geheimes Papier des EU-Ministerrats vom vergangenen Dezember. Die Einträge mit Terror-Bezug im Schengen-Infosystem SIS II seien generell auf einem «sehr niederen Stand», steht in dem Dokument, das von Statewatch veröffentlicht und von orf.at analysiert wurde.
Auch geht aus dem geleakten Dokument hervor, dass die Anti-Terror-Systeme von Eurojust, Europol, Eurodac und Interpol von mehreren Mitgliedsstaaten einfach ignoriert werden.
Anfang Jahr hat die Europäische Polizeibehörde Europol ein neues Anti-Terror-Zentrum in Betrieb genommen: das European Counter Terrorism Centre (ECTC). Das könne jedoch nur funktionieren, «wenn alle EU-Länder auch mitmachen werden», sagte Europol-Direktor Rob Wainwright nach der Eröffnung zur «Deutschen Welle». Der Behörde in Den Haag sind tatsächlich die Hände gebunden.
Nur ein Bruchteil der potentiellen Extremisten erfasst
Zahlen in dem Dokument zeigen, wie schlecht die grenzübergreifende Fahndung nach Terroristen in Europa funktioniert. Die «Focal Point Travellers»-Datenbank, in der Söldner des IS und anderer Syrienkämpfer in Europa auflistet, enthielt im Dezember 2015 gerade mal 2100 Namen. Europol geht aber von 5000 potenziell gewaltbereiten Extremisten in Europa aus.
Für Europas Versagen gibt es kein besseres Beispiel als die verheerenden Anschläge in Paris vom vergangenen November: Diese hatten die Terroristen in Belgien geplant, und es war ihnen offensichtlich möglich, ihre Aktivitäten über die Grenze hinweg auszuführen.
Frankreich beklagte darauf, dass man «keinerlei Information» von den Sicherheitsbhörden anderer EU-Staaten zum Drahtzieher Abdelhamid Abaaoud erhalten habe und dies, obwohl dieser sich offenbar in mehreren europäischen Ländern bewegte und auch kontrolliert wurde. Einige der Pariser Attentäter waren zudem dem belgischen Geheimdienst bekannt, ohne dass die französischen Kollegen davon erfahren hätten.
Belgien vom EU-Rat ermahnt
Belgien hat sich nicht wie ein Musterschüler verhalten – das zeigen weitere Ratsdokumente, die sich direkt an den Staat richten. Gemäss orf.at handeln alle vom Thema Datenaustausch und polizeiliche Zusammenarbeit.
In der Ratsempfehlung an Belgien vom 24. November 2015 etwa wird das Land aufgefordert, die bei der Evaluation des Schengen-Systems im Jahr 2015 identifizierten Schwachstellen «im kürzesten möglichen Zeitrahmen» zu beseitigen. Zudem empfiehlt der Rat Belgien, «ein erweitertes bilaterales Abkommen mit Frankreich» abzuschliessen, um die «Effizienz von Alarmfahndungen zu erhöhen.»
Noch diese Woche wollen sich die Sicherheits-Minister der EU-Staaten bei einem Sondertreffen zusammenfinden, wie sie es schon nach den Anschlägen auf «Charlie Hebdo» und in der Pariser Innenstadt getan haben. An Gesprächsthemen wird es ihnen nicht mangeln. (rey)