Wer ist ein Mörder? Das deutsche Strafgesetzbuch hat darauf seit 1941 eine eindeutige Antwort: «Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam … einen Menschen tötet», schrieb Hitlers Oberrichter Roland Freisler.
Das Gesetz schreibt auch die passende Strafe vor: Lebenslänglich für alle, die heimtückisch oder grausam töten. Unter den Nazis hiess das Urteil sogar Todesstrafe. Doch welche Beweggründe und Umstände zur Tat führen, ist — theoretisch — weiterhin zweitrangig.
Zwar haben die Richter Wege gefunden, im Einzelfall von dieser ungerechten Regelung abzuweichen. Doch viele Experten finden das abenteuerlich — und überholt. Denn der Mörder-Paragraph beschreibt einen Tätertyp und die Merkmale seiner Gesinnung. Modernes Strafrecht aber betrachtet vorwerfbare Handlungen.
Wer mordet, wird nicht mehr Mörder genannt
Justizminister Heiko Maas (SPD) will die Justiz deshalb endlich vom Erbe der Nazis befreien. Eine Kommission aus Wissenschaftlern, Richtern, Staatsanwälten, Rechtsmedizinern und Polizeipraktikern hat ein Jahr lang gemeinsam überlegt, wie Tötungsdelikte besser formuliert werden können. Gestern stellte sie ihren 900 Seiten umfassenden Abschlussbericht vor.
Einer der wichtigsten Vorschläge der Experten: Wer mordet, wird nicht mehr Mörder genannt. «Einigkeit herrschte darüber, dass der Gesetzgeber bei der Reform der Tötungsdelikte die auf eine Tätertypologie hinweisende Terminologie des geltenden Rechts ('Mörder' und 'Totschläger') durch eine an die Tathandlung anknüpfende sprachliche Fassung ersetzen solle», steht in dem Bericht.
Mehr Ermessensspielraum für die Richter
Zudem sollen Richter bei der Straffestsetzung mehr Spielraum bekommen. Die Kommission will zwar grundsätzlich an der lebenslangen Freiheitsstrafe festhalten. Mit «großer Mehrheit» aber spricht sich die Gruppe dafür aus, dass Richter «im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit» von der Regelstrafe abweichen dürfen. Mühsame Wortakrobatik, die überholte Gesetze und rigorose Strafen ausser Kraft setzt, soll dann nicht mehr nötig sein.
Ob sich Maas mit seiner Initiative durchsetzen kann, wird sich zeigen. Noch gibt es berechtigte Hoffnung für die Nazi-Phrasen im deutschen Strafgesetzbuch. Denn in den Reihen der Union formiert sich bereits Widerstand. Die lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord sei ein wichtiger Bestandteil des Strafrechts, sagte Unionsfraktionsvize Thomas Strobl (CDU) der «Welt». «Ein Menschenleben verdient absoluten und höchsten Schutz, das ist für die Union als christliche Partei unverrückbar.»
«Es gibt wichtigere Fragen zu lösen»
Vor dem Hintergrund der «schrecklichen Dimension terroristischer Gewalt» gebe es zudem «wesentlich wichtigere Fragen zu lösen», sagte Strobl weiter. So seien die jüngsten Anschläge in Lyon und Tunesien «ein Ausdruck neuer Grausamkeit islamistischer Gewalt. Den Begriff ,Mörder' zu hinterfragen, kann vor dem Hintergrund des islamistischen Terrors auch ein falsches Signal sein.»
Man werde sich die Ergebnisse der Kommission zwar genau anschauen und «gründlich auswerten». Weil andere Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch nicht umgesetzt seien, habe eine Reform der Tötungsdelikte aber «derzeit keine besondere Priorität». (pom)