Aya Abdullah ist 22 Jahre alt – doch sie hat Dinge erlebt, die den meisten Schweizern in ihren schlimmsten Albträumen erspart bleiben. Mit 14 flüchtete sie vor dem Krieg im Irak. Erst nach Syrien, dann von dort in die Türkei, wo sie wie Dreck behandelt wurde. Mehr als eine Million Menschen forderten die USA daraufhin in einer Petition auf, Aya eine Chance zu geben. Vergeblich: Die Behörden blieben hart.
Jetzt hat die Odyssee der jungen Frau ein vorläufiges Ende: Aya darf offenbar in der Schweiz leben. Dies steht auf der Facebook-Seite «Humans of New York» (Hony), die ihr Schicksal vor zwei Jahren einem grösseren Publikum bekannt gemacht hat. Im Beitrag ist ein Foto von Aya und ihrer Familie auf einem Flughafen zu sehen, kurz nach der Landung.
Um welchen Flughafen es sich handelt und welchen genauen Aufenthaltsstatus die Irakerin hat, ist nicht bekannt. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat Kenntnis von dem Fall – kommentiert ihn aber aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht. «Wir geben keine Auskünfte zu individuellen Fällen», sagt Projektleiter Idil Abdulle zu BLICK.
Hony-Betreiber Brandon Stanton schreibt hingegen: «Aya kann endlich die Ausbildung machen, von der sie geträumt hat. Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, was sie aus ihrem Leben macht.»
Bombenhagel jeden Tag
Stanton begann 2010, Menschen auf den Strassen New Yorks zu porträtieren. Mittlerweile hat seine Facebook-Seite 18 Millionen Abonnenten. Vor zwei Jahren reiste der Fotograf in die Türkei, um Flüchtlinge zu Wort kommen zu lassen. Zur Story über einen syrischen Wissenschaftler auf der Flucht schrieb sogar der damalige US-Präsident Barack Obama einen Kommentar.
In einer Serie von Einträgen liess Stanton auch Aya ihre Geschichte erzählen. Eine Geschichte des blanken Horrors. Als sie 14 Jahre alt ist, bricht in Irak der Krieg aus. Ihre Familie lebt in Bagdad in der Nähe eines Anwesens von Saddam Hussein – es regnet jeden Tag Bomben. Eine zerstört das Haus ihrer Schulfreundin Miriam. «Ich wollte sehen, ob es ihr gut geht», sagt Aya. «Sie lag am Boden und hatte keine Beine mehr. Sie schrie, ich kann ihre Schreie noch heute hören.»
Eines Tages ist Aya mit ihrem Vater im Auto unterwegs, als vor ihr eine Autobombe explodiert. «Ich ging raus, weil ich dachte, vielleicht könnte ich jemanden retten. Doch es lagen Hände und Köpfe auf der Strasse, es war wie in einem Horrorfilm.»
Die Familie flüchtet nach Syrien, wo Aya nach eigenen Angaben die besten zwei Jahre ihres Lebens verbringt. Sie hat gute Noten in der Schule und engagiert sich an Wochenenden für andere Flüchtlinge. Doch dann bricht auch hier der Krieg aus. «Eines Nachmittags blickte ich beim Lernen aus dem Fenster und sah, wie ein Mann das Gesicht eines anderen mit einem Stein zerschmetterte», erzählt Aya. Wieder flüchtet die Familie. «Wir packten alles, was wir hatten, in sechs Taschen und zogen los.»
In der Türkei nicht willkommen
Aya versucht einen Neustart in der Türkei – doch es wird die schlimmste Zeit ihres Lebens, wie sie sagt. Menschen auf der Strasse schreien sie an, die Familie muss vier Mal umziehen, weil der Vermieter keine Menschen arabischer Herkunft mehr akzeptiert. Ihr Vater verlässt die Wohnung eines Morgens und kommt nicht mehr zurück.
Die Familie stellt einen Asylantrag in den USA. Nach Monaten heisst es: Antrag angenommen. Es bricht ein spontanes Freudenfest in Ayas Wohnung aus. Doch der Brief, der daraufhin aus den USA ankommt, zerschlägt die Träume wieder. Der Antrag wird nun doch abgelehnt. Wegen «Sicherheitsbedenken».
Nachdem «Humans of New York» die Geschichte an die Öffentlichkeit bringt, entsteht in den USA eine Welle der Solidarität. Eine Petition für Aya erhält auf Change.org eine Million Unterschriften – so viel wie keine andere Petition auf der Webseite. Doch die US-Behörden lassen sich nicht umstimmen. Der Fall löst aber ein grosses Echo aus, auch Massenmedien wie CNN berichten.
Zwei Jahre ist es still um Aya und ihre Familie. Doch die Organisation International Refugee Assistance Project, die Flüchtlingen Rechtsbeistand gewährt, gibt nicht auf. Und hat nun offensichtlich eine Lösung gefunden.
Das Mittelmeer wird für Flüchtlinge mehr und mehr zur Sperrzone. Das hat direkte Auswirkungen auf die Schweiz: Im Juli wurden weniger als halb so viele Migranten bei der illegalen Einreise aufgegriffen wie im Vorjahresmonat. Auch die Zahl der Asylgesuche ging stark zurück.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe sieht die Entwicklung sehr kritisch. Das rabiate Vorgehen der libyschen Küstenwache und ihrer Partner führe dazu, dass die Schlepper immer höhere Preise verlangten, sagt Constantin Hruschka (47), Leiter der Abteilung Protection. So würden es nur noch diejenigen Menschen in die Schweiz schaffen, die mehr Geld haben – unabhängig von ihrem Schutzstatus.
«EU und die Schweiz könnten mehr humanitäre Visa erteilen»
Hruschka ist überzeugt: Mit der indirekten Beteiligung an den Rückschaffungen breche nicht nur die EU das Völkerrecht, sondern auch die Schweiz. «Sie ist Teil der Grenzschutzagentur Frontex und damit mitverantwortlich für die Zusammenarbeit mit den libyschen Milizen», sagt Hruschka.
Der Flüchtlingsexperte fordert Europa auf, aktiv zu werden. «Die EU und die Schweiz könnten mehr humanitäre Visa erteilen», sagt er. Diese erlauben es Migranten, in die Schweiz zu reisen, um dort ein Asylgesuch zu stellen. Das ist die Alternative zum 2012 abgeschafften Botschaftsasyl, das ermöglichte, auch ausserhalb der Schweiz ein Gesuch einzureichen. Humanitäre Visa werden demgegenüber restriktiver gehandhabt.
Auch Politiker sind der Meinung, dass die Schweiz nicht tatenlos zusehen dürfe. Da die Schweiz ihre Asylpolitik mit jener der EU koordiniere, stehe man genauso wie sie in der Verantwortung, sagt SP-Nationalrätin Silvia Schenker (63, BS). «Wir müssen uns über die Parteigrenzen hinweg überlegen, ob angesichts der dramatischen Lage nicht zusätzliche Massnahmen notwendig sind», sagt sie.
Linke diskutieren über Wiedereinführung des Botschaftsasyls
Grünen-Fraktionspräsident Balthasar Glättli (45) pflichtet ihr bei: «Die Schweiz kann und muss mehr tun.» Eine Option, die Grüne wie SPler diskutieren, ist die Wiedereinführung des Botschaftsasyls. Selbst bürgerliche Politiker fassen diese Option ins Auge. FDP-Nationalrat Kurt Fluri (62, SO) sagt: «Das Botschaftsasyl wäre grundsätzlich das richtige Mittel, um die Schlepperei zu verhindern.» Allerdings könne es die Schweiz nur einführen, wenn die EU den ersten Schritt mache. «Sonst würden unsere Botschaften überrannt.»
Die Möglichkeit, sich für ein koordiniertes Vorgehen starkzumachen, hätte die Schweiz möglicherweise schon bald. Bundesrätin Simonetta Sommaruga (57) hat sich bei einem Ministertreffen in Tunesien jüngst dazu bereit erklärt, den nächsten Gipfel der Kontaktgruppe in der Schweiz zu organisieren. Mitglieder der Gruppe sind nebst Libyen auch Deutschland und Frankreich.
Viele Bürgerliche sehen keinen Handlungsbedarf
Die Grünen wollen derweil, so Glättli, die Möglichkeiten ausloten, wie man «endlich auch eine Mehrheit des Parlaments» davon überzeugen könne, zu handeln. Denn viele Bürgerliche sehen derzeit gar keinen Handlungsbedarf – so auch CVP-Nationalrätin Kathy Riklin (64, ZH). «So tragisch es ist», meint sie: «Wir können nicht ganz Afrika aufnehmen.»
Das Mittelmeer wird für Flüchtlinge mehr und mehr zur Sperrzone. Das hat direkte Auswirkungen auf die Schweiz: Im Juli wurden weniger als halb so viele Migranten bei der illegalen Einreise aufgegriffen wie im Vorjahresmonat. Auch die Zahl der Asylgesuche ging stark zurück.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe sieht die Entwicklung sehr kritisch. Das rabiate Vorgehen der libyschen Küstenwache und ihrer Partner führe dazu, dass die Schlepper immer höhere Preise verlangten, sagt Constantin Hruschka (47), Leiter der Abteilung Protection. So würden es nur noch diejenigen Menschen in die Schweiz schaffen, die mehr Geld haben – unabhängig von ihrem Schutzstatus.
«EU und die Schweiz könnten mehr humanitäre Visa erteilen»
Hruschka ist überzeugt: Mit der indirekten Beteiligung an den Rückschaffungen breche nicht nur die EU das Völkerrecht, sondern auch die Schweiz. «Sie ist Teil der Grenzschutzagentur Frontex und damit mitverantwortlich für die Zusammenarbeit mit den libyschen Milizen», sagt Hruschka.
Der Flüchtlingsexperte fordert Europa auf, aktiv zu werden. «Die EU und die Schweiz könnten mehr humanitäre Visa erteilen», sagt er. Diese erlauben es Migranten, in die Schweiz zu reisen, um dort ein Asylgesuch zu stellen. Das ist die Alternative zum 2012 abgeschafften Botschaftsasyl, das ermöglichte, auch ausserhalb der Schweiz ein Gesuch einzureichen. Humanitäre Visa werden demgegenüber restriktiver gehandhabt.
Auch Politiker sind der Meinung, dass die Schweiz nicht tatenlos zusehen dürfe. Da die Schweiz ihre Asylpolitik mit jener der EU koordiniere, stehe man genauso wie sie in der Verantwortung, sagt SP-Nationalrätin Silvia Schenker (63, BS). «Wir müssen uns über die Parteigrenzen hinweg überlegen, ob angesichts der dramatischen Lage nicht zusätzliche Massnahmen notwendig sind», sagt sie.
Linke diskutieren über Wiedereinführung des Botschaftsasyls
Grünen-Fraktionspräsident Balthasar Glättli (45) pflichtet ihr bei: «Die Schweiz kann und muss mehr tun.» Eine Option, die Grüne wie SPler diskutieren, ist die Wiedereinführung des Botschaftsasyls. Selbst bürgerliche Politiker fassen diese Option ins Auge. FDP-Nationalrat Kurt Fluri (62, SO) sagt: «Das Botschaftsasyl wäre grundsätzlich das richtige Mittel, um die Schlepperei zu verhindern.» Allerdings könne es die Schweiz nur einführen, wenn die EU den ersten Schritt mache. «Sonst würden unsere Botschaften überrannt.»
Die Möglichkeit, sich für ein koordiniertes Vorgehen starkzumachen, hätte die Schweiz möglicherweise schon bald. Bundesrätin Simonetta Sommaruga (57) hat sich bei einem Ministertreffen in Tunesien jüngst dazu bereit erklärt, den nächsten Gipfel der Kontaktgruppe in der Schweiz zu organisieren. Mitglieder der Gruppe sind nebst Libyen auch Deutschland und Frankreich.
Viele Bürgerliche sehen keinen Handlungsbedarf
Die Grünen wollen derweil, so Glättli, die Möglichkeiten ausloten, wie man «endlich auch eine Mehrheit des Parlaments» davon überzeugen könne, zu handeln. Denn viele Bürgerliche sehen derzeit gar keinen Handlungsbedarf – so auch CVP-Nationalrätin Kathy Riklin (64, ZH). «So tragisch es ist», meint sie: «Wir können nicht ganz Afrika aufnehmen.»