Auf einen Blick
- Messerattacke in Aschaffenburg: Täter war bekannt und in psychiatrischer Behandlung
- Experten sehen Systemproblem bei deutschen Behörden im Umgang mit Gefährdern
- Zwei Tote: Ein zweijähriger Junge und ein 41-jähriger Passant wurden getötet
Einen Tag nach der Horror-Tat von Aschaffenburg sind noch viele Fragen ungeklärt. Besonders: Wie konnte das überhaupt passieren?
Enamullah O.* (28) war kein Unbekannter bei den Behörden. Er sorgte für mehrere Polizei-Einsätze. Einmal soll er eine Ukrainerin gewürgt haben. «Wie konnte die Polizei nur so versagen, sie wussten doch alle, dass der nicht richtig tickt», zeigt sich ein Afghane, der in derselben Flüchtlingsunterkunft wie O. lebt, fassungslos.
Nicht mal einen Monat nach der Todesfahrt von Magdeburg
Der 28-Jährige befand sich zum Zeitpunkt der Tat in psychiatrischer Behandlung und sollte aus Deutschland ausreisen. Dennoch konnte er am Mittwoch mit einem Küchenmesser auf eine Gruppe Kindergartenkinder losgehen. Er tötete einen Buben (†2) und einen Passanten (†41), der versuchte, O. zu stoppen.
Eine Ermittlungsrichterin am Amtsgericht hat am Donnerstag eine einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Spital angeordnet. Einen Unterbringungsbefehl gibt es in der Regel, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass ein Verdächtiger zur Tatzeit aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig war. Dem Mann wird unter anderem Mord vorgeworfen.
Hat Deutschland ein Sicherheitsproblem? Denn: Erst kurz vor Weihnachten fuhr Taleb A.* (50), 2006 aus Saudi-Arabien zugezogen, mit einem BMW über den Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Er tötete sechs Menschen und verletzte 300 weitere. Auch er galt als psychisch auffällig, die Behörden hatten ihn seit 2015 im Visier. Das Motiv von Taleb A.: Er wollte Deutschland dafür bestrafen, dass es zu offen war, zu grosszügig gegenüber Muslimen.
«Extrem schwer zu verhindern»
Die Hintergründe der Tat in Aschaffenburg sind noch unklar. Für Hans-Jakob Schindler, Experte Counter Extremism Project, zeigt die Messer-Attacke, wie angespannt die Lage in Deutschland ist. Und: dass die Behörden ein Systemproblem haben. «Aktuell sieht es daher danach aus, dass einmal mehr die komplexen administrativen Prozesse einer Abschiebung aus Deutschland nicht effektiv umgesetzt wurden», sagt der ehemalige Berater des Uno-Sicherheitsrates für globale Terrorismussanktionen zu Blick.
Solche Angriffe präventiv zu verhindern, sei so gut wie nicht möglich. Schindler weiter: «Taten von Einzeltätern, welche mit handelsüblichen Tatwerkzeugen, welche keine Vorbereitungshandlungen erfordern, verübt werden, sind extrem schwer zu verhindern.»
«Mir geht es hier gar nicht um das Thema Abschiebung»
Das Waffengesetz zu verschärfen, sei eine Möglichkeit. Doch O. stach mit einem gewöhnlichen Küchenmesser zu. «Die Tat von Aschaffenburg erfolgte in einem öffentlichen Park, ohne dass dort eine besondere Veranstaltung stattfand. Es wird nicht möglich sein, alle öffentlichen Plätze in Deutschland dauerhaft durch den Einsatz entsprechender Polizeikräfte, welche effektive Kontrollen erlauben würden, zu schützen.»
Auch für Dirk Baier, Kriminologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ist klar: Einzelne Delikte lassen sich so gut wie nie verhindern. Besonders, wenn sie aus dem Nichts kommen. Aber: Die Behörden hätten jetzt in Aschaffenburg und in Magdeburg früher eingreifen müssen.
«Und mir geht es hier gar nicht um das Thema Abschiebung bzw. versäumte Abschiebung. Mir geht es darum, dass die Tatpersonen als gefährliche und psychisch auffällige Personen bekannt waren», sagt Baier zu Blick. Warum die Behörden trotzdem nicht tätig wurden, muss daher gründlich aufgearbeitet werden. «Möglicherweise hätten diese Taten verhindert werden können.»
In der Schweiz gibt es das Bedrohungsmanagement
Man müsse zwischen konkreten und diffusen Bedrohungslagen unterscheiden. Der Kriminologe zu Blick: «Wenn eine Person mehrfach und einigermassen konkret Gewaltandrohungen ausstösst, wie das anscheinend beim Täter aus Magdeburg der Fall war, ist eine schnelle Gefahreneinschätzung nötig.»
In der Schweiz gibt es hierfür in verschiedenen Kantonen das Bedrohungsmanagement. Baier weiter: «Weshalb ich behaupten würde, dass in der Schweiz eine solche Tat nicht passiert wäre.»
«Das hat zur Folge, dass teilweise zu spät reagiert wird»
In Deutschland würden Gewaltandrohungen zu wenig abgeklärt. «Dies findet aus verschiedenen Gründen in Deutschland zu wenig statt, sei es, weil es zu wenig ausgebildete Psychologen und Psychiaterinnen gibt, sei es, weil es zu wenig auf Personen aus dem Asylbereich inhaltlich und sprachlich spezialisierte Fachpersonen gibt.»
Ausserdem seien Flüchtlinge in den Unterkünften sich selbst überlassen. «Ohne Tagesstruktur und ohne weitere soziale Einbindung. Das hat zur Folge, dass teilweise zu spät reagiert wird.»
«Deutschland ist noch immer ein sicheres Land»
Laut Baier steigt die Kriminalität in Deutschland seit der Coronazeit «und hat, insbesondere auch im Gewaltbereich, mittlerweile ein Niveau erreicht, wie es zuletzt vor 15 Jahren der Fall war».
Besonders schwere Körperverletzungen und Raubtaten würden deutlich zunehmen. «Insofern muss man von einer sich verschlechterten Sicherheitslage sprechen, wenngleich auch kein Anlass besteht, die Situation zu dramatisieren, insofern die Wahrscheinlichkeit, schwere Gewalt zu erleben, weiterhin gering ist.» Der Zürcher Sicherheitsexperte: «Deutschland ist noch immer ein sicheres Land.»
«Das kann nicht auf Kosten der eigenen Bevölkerung gehen»
Nichtsdestotrotz: Einen Tag nach der Horrortat forderte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder (58) eine «Null Toleranz»-Politik bei der Migration. Und weiter: «Die Migration überfordert unser Land.»
Das gelte nicht nur in finanzieller Hinsicht. Deutschland sei ein «humanes Land», betonte der CSU-Chef mit Blick unter anderem auf die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. «Aber das kann am Ende nicht auf Kosten der eigenen Bevölkerung gehen.»
* Namen bekannt