Merkel zur Völkermord-Resolution
«Wir distanzieren uns nicht»

Die deutsche Regierung ist Erdogan bei der Affäre rund um die Armenien-Resolution entgegengekommen. Eine Distanzierung ist das aber nicht.
Publiziert: 02.09.2016 um 22:14 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 20:00 Uhr
Abgekühlt: Die Beziehung zwischen Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan.
Foto: KEYSTONE/EPA DPA/MICHAEL KAPPELER

Sie lesen sich wie ein Polit-Thriller, die heutigen Ereignisse in Berlin rund um die umstrittene Völkermord-Resolution des Deutschen Bundestages. Am frühen Morgen hatte der «Spiegel» gemeldet, die deutsche Regierung wolle sich von der Armenien-Resolution distanzieren – und damit eine Welle der Empörung in Deutschland losgetreten. «Merkel geht auf Erdogans Forderungen ein», lautete die vernichtende Schlagzeile.

Vorwürfe gegen Bundesregierung

Die Meldung ist deshalb so brisant, weil der Bundestag die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern 1915/16 im Osmanischen Reich als «Völkermord» bezeichnet hatte. Das Verhältnis zur Türkei ist deswegen seit Anfang Juni schwer belastet. 

Aus Protest gegen die Resolution hatte Ankara seinen Botschafter aus Berlin abgezogen. Zudem verweigert man seither deutschen Abgeordneten den Besuch bei Bundeswehr-Soldaten, die im türkischen Incirlik stationiert sind. 

Auf den «Spiegel»-Bericht folgten wenig überraschend massive Vorwürfe gegen die deutsche Regierung. Sie würde von ihrer Position zurückweichen und vor dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kuschen, um die Aufhebung des Besuchsverbots bei den in der Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten zu erwirken.

Das Dementi Merkels

Am Abend sah sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schliesslich gezwungen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Sie widersprach den Darstellungen entschieden: «Das will ich ausdrücklich dementieren. Wir distanzieren uns nicht von der Resolution des Parlaments», sagte Merkel, verwies aber auch darauf, dass die Resolution für ihre Regierung «nicht rechtlich bindend» sei.

Zuvor hatte sich bereits Regierungssprecher Steffen Seibert über die «irreführende und teils falsche Berichterstattung» des Morgens beschwert (BLICK berichtete). «Da wird fälschlich behauptet, die Bundesregierung wolle sich von der Armenien-Resolution distanzieren«, sagte Seibert. «Davon kann überhaupt keine Rede sein.»

Eine Geste an die Türkei

Nach dem Krimi fragte sich nicht nur die deutsche Wahlbevölkerung zurecht: Welche Version stimmt denn nun eigentlich? Naja. Beide. Es handelt sich wohl um ein Missverständnis aufgrund einer äusserst geschickten Wortwahl seitens der Bundesregierung. 

Die Formulierung, die Resolution sei «rechtlich nicht bindend» ist wohl vor allem als Geste an die Türkei zu deuten. Dadurch kann der türkische Präsident Erdogan öffentlich sagen, die deutsche Regierung distanziere sich von der Völkermord-Resolution des Parlaments – und ohne Gesichtsverlust einen Besuch deutscher Abgeordneter auf der türkischen Basis Incirlik erlauben.

Noch keine Reaktion aus Ankara

Trotz viel Kritik an den Zuständen in der Türkei gehört das NATO-Land zu Deutschlands wichtigsten Partnern. Berlin hat besonders wegen des türkisch-europäischen Abkommens zur Lösung der Flüchtlingskrise grosses Interesse an einer Zusammenarbeit. 

Die Türkei wiederum hofft auf eine baldige Visa-Befreiung für ihre Bürger. Seit der Niederschlagung des Militärputsches im Juli sieht sie sich jedoch neuen Vorwürfen wegen undemokratischen Zuständen ausgesetzt.

Die Bundeswehr hat im Süden der Türkei mehr als 200 Soldaten sowie sechs «Tornado»-Aufklärungsjets und ein Tankflugzeug stationiert. Sie sollen den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützen.

Zuletzt hatte die Bundesregierung immer wieder betont, sie wolle sich im Streit mit der Türkei über das Besuchsverbot nicht unter Druck setzen lassen. Dennoch deutet alles darauf hin, dass es zwischen der türkischen und der deutschen Regierung eine Absprache gegeben hat. Aus Ankara gab es am Freitag zu der neuen Debatte zunächst keine Reaktion. (gr)

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