Ihre Gedanken seien in diesen Stunden «immer auch bei den Menschen in der Heimat», in den Hochwassergebieten in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen, sagt die Kanzlerin bei einem kurzfristig arrangierten Auftritt. «Ihnen will ich auch von hier aus ein Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität schicken.» Von Katastrophe und Tragödie spricht Merkel. Es ist ihr anzumerken, wie sehr sie die Lage zu Hause in Deutschland bewegt.
Es ist eine der letzten grossen Auslandsreisen Merkels und einer der wichtigsten USA-Besuche in ihrer zu Ende gehenden bald 16-jährigen Ära als Kanzlerin. Doch die Überschwemmungen mit vielen Toten, eingestürzten Häusern und überfluteten Landstrichen lassen den Anlass ihres Besuchs in der US-Hauptstadt fast in den Hintergrund treten.
Nach einer Zeit der Zerrüttung während der Ära des früheren US-Präsidenten Donald Trump wollen Merkel und der neue US-Präsident Joe Biden vor allem ein Signal des Neuanfangs senden. Und auch wenn Merkel nicht mehr zur Bundestagswahl antritt und sie in ein paar Monaten aus dem Amt scheidet: Für ihre Nachfolgerin oder ihren Nachfolger im Kanzleramt dürften bei den Beratungen in den USA wichtige Weichen gestellt worden sein.
Schon bei der Begrüssung durch Biden im Oval Office im Weissen Haus wird deutlich: Die Atmosphäre zwischen der Kanzlerin und dem US-Präsidenten stimmt. Anders als zu Zeiten von Trump wirken beide einander zugewandt, auch ein Lächeln ist bei Merkel und Biden zu sehen. Biden, auf dessen Beistelltischchen eine dicke Akte liegt, schwärmt von Merkel als persönlicher Freundin und Freundin der USA. Die Beziehung zwischen beiden Ländern sei stark und werde stärker. Merkel habe viel für diese «andauernde Freundschaft» getan.
Und die in Ostdeutschland geborene Merkel, die schon immer eine grosse Sympathie für Amerika hatte, entgegnet: «Ich schätze die Freundschaft sehr, ich weiss, was Amerika für die Geschichte eines freien und demokratischen Deutschlands getan hat.»
Auch bei der Pressekonferenz später ist die Stimmung entspannt - selbst wenn einzelne Konflikte weiter schwelen. Gut eine Stunde länger als geplant hatten Merkel und Biden miteinander geredet. Sie habe «bahnbrechende Verdienste» für Deutschland und die Welt, sei immer für das Richtige eingetreten und habe die Würde des Menschen verteidigt. «Ich weiss, dass die Partnerschaft zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten auf dem Fundament, das Sie mit aufgebaut haben, noch stärker werden wird.»
Merkel äussert sich zu Beginn erneut zur Hochwasserkatastrophe - ihr gehe das Leid der Betroffenen sehr nahe. Die Regierung werde die Menschen in diesen schwierigen Stunden nicht alleine lassen. Ausdrücklich dankt sie Biden für den freundschaftlichen Austausch, «wir sind enge Partner», betont sie erleichtert. «Ich möchte, dass das auch nach meiner Zeit als Bundeskanzlerin so bleibt.»
Gewohnt nüchtern geht Merkel durch die Themen - sie lobt eine bei dem Treffen beschlossene Energie- und Klimapartnerschaft beider Länder, streift kurz den Iran, Afghanistan, die Pandemie, das weltweite Impfen, etliche andere Themen. Beim Streit über die Ostseepipeline Nord Stream II zwischen Russland und Deutschland bleiben beide Seiten hart - dass Merkel und Biden hier keinen Durchbruch verkünden würden, war schon vorher klar. Auch gute Freunde könnten Meinungsverschiedenheiten haben, kommentiert Biden lapidar. Und auch bei den umstrittenen Reiseregeln der USA aufgrund der Pandemie oder der US-Forderung nach Aufhebung des Patentschutzes beim Impfstoff gibt es keine Lösung.
Die Überschwemmungskatastrophe hatte beim Washington-Besuch der Kanzlerin den Blick auf das Megathema der Zukunft gelenkt, den Klimaschutz. Ausgerechnet hier hatte es in der Zeit von Trump gigantische Differenzen gegeben: Dieser hatte die USA aus dem Klimaschutzabkommen von Paris gezogen. Biden machte den Ausstieg am ersten Tag im Amt rückgängig.
Die UN-Klimakonferenz im Herbst müsse Fortschritte bringen, fordert Merkel nun an der Johns-Hopkins-Universität, von der sie die 18. Ehrendoktorwürde ihrer Amtszeit erhält. «Da ist natürlich eine sehr, sehr gute Nachricht, dass die Vereinigten Staaten von Amerika wieder mit dabei sind und auch durchaus ambitionierte Ziele vorgebracht haben», lobt sie.
Vor ihrem schweren Auftritt zur Hochwasserkatastrophe hatte sich Merkel mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris getroffen - einer Frau, für die die Kanzlerin ganz offensichtlich grosse Sympathie empfindet. Es sind herzliche Szenen bei der Begrüssung - die Hände schütteln sich Merkel und Harris allerdings nicht, wohl wegen der Corona-Pandemie.
Natürlich wird die Kanzlerin auch in Washington gefragt, was sie tun werde, wenn sie aus dem Amt geschieden sei, und was sich am Tag danach für sie ändern werde. «Wahrscheinlich werden mir gewohnheitsmässig verschiedene Gedanken in den Kopf kommen, was ich jetzt eigentlich machen müsste», gibt Merkel bei einer Fragerunde mit Studenten an der Johns-Hopkins-Uni gut gelaunt zurück. «Und dann wird mir ganz schnell einfallen, dass das jetzt ein anderer macht. Und ich glaube, das wird mir sehr gut gefallen.»
Sie werde bemerken, dass sie Freizeit habe - und nicht gleich die nächste Einladung annehmen, «weil ich Angst habe, ich hab' nichts zu tun und keiner will mich mehr», sagt Merkel noch. Und eine Pause zum Nachdenken darüber, was sie eigentlich interessiere, werde sie einlegen, «denn in den letzten 16 Jahren habe ich dazu wenig Zeit gehabt». Sie werde lesen und schlafen - «und dann schau'n wir mal, wo ich auftauche», schliesst sie schmunzelnd.
(SDA)