Menschliche Embryos nachgebaut – Clinch zwischen Forschung und Ethik
Kommt bald der Mensch aus dem Labor?

Menschliches Leben aus dem Reagenzglas? Forschenden scheint ein grosser Schritt in diese Richtung gelungen. Sie bauten menschliche Embryos aus Stammzellen nach. Der Durchbruch könnte die Erforschung genetischer Störungen erleichtern, wirft aber auch wichtige Fragen auf.
Publiziert: 17.06.2023 um 02:22 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2023 um 12:05 Uhr
Forschenden an der Universität Cambridge ist ein Durchbruch gelungen: Sie erzeugten menschliches Embryo-Gewebe im Labor. Ist der Mensch aus dem Reagenzglas nur eine Frage der Zeit?
Foto: plainpicture/amanaimages/AKIRA

Forschenden an der Universität Cambridge ist womöglich eine lange kaum für möglich gehaltene Entwicklung gelungen: Sie haben aus menschlichen Stammzellen synthetische Embryos gezüchtet – ohne dass Spermien oder Eizellen verwendet wurden.

Was bei Mäusen in der Vergangenheit bereits glückte, scheint jetzt auch bei Menschen möglich. In der Genforschung soll die bahnbrechende Errungenschaft neue Wege eröffnen. Die neue Entwicklung der Forschung stösst auch die Debatte über ethische Grundsätze neu an.

Weltweit ist ein Wettlauf im Gange, im Labor künstliche embryoähnliche Strukturen mit einem Darmtrakt, den Anfängen eines Gehirns und einem schlagenden Herzen zu erzeugen. Mehreren Teams ist es gelungen, die allerersten Entwicklungsstadien zu replizieren. Offenbar hat noch nie zuvor menschliches Embryonalgewebe im Labor gezüchtet werden können, wie es jetzt in Cambridge gelang.

Neuprogrammierte Stammzellen

Die Embryonen sollen den frühsten Stadien der menschlichen Entwicklung ähneln. Die Idee hinter dieser Forschung ist, die normale menschliche Embryonalentwicklung mithilfe von Stammzellen zu modellieren und daraus Informationen zu gewinnen, was bei der Entwicklung des Menschen schiefgehen kann. Dies, ohne dass man menschliche Embryonen für die Forschung verwenden muss. Die Wissenschaft hofft, mithilfe solcher Modell-Embryonen bald genetische Störungen oder auch wiederkehrende Fehlgeburten besser zu erkennen und behandeln zu können.

Das im Labor erzeugte Gewebe weist weder ein schlagendes Herz noch die Anfänge eines Gehirns auf. Aber es enthält Zellen, aus denen sich normalerweise die Plazenta, der Dottersack und der Embryo selbst bilden würden. «Durch die Neuprogrammierung von embryonalen Stammzellen können wir menschliche embryonale Modelle schaffen», erklärte dazu Studienleiterin und Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz dem britischen «Guardian».

Viele Fragezeichen

Zernicka-Goetz lobt den eigenen Forschungserfolg, der noch in keiner Fachzeitschrift veröffentlicht wurde: «Unser menschliches Modell ist das erste eines menschlichen Embryos, das die Vorläuferzellen von Ei- und Samenzellen spezifiziert». Das künstliche embryonale Gewebe sei «wunderschön und wurde vollständig aus embryonalen Stammzellen hergestellt».

Für klinische Anwendungen solcher synthetischer Embryonen ist es noch viel zu früh. Nicht nur wäre es illegal, sie in die Gebärmutter einer Patientin einzupflanzen. Es bleibt auch unklar, ob das künstlich erzeugte Gewebe über die frühesten Entwicklungsstadien hinaus weiter reifen könnte.

Grenzen der Wissenschaft

Die grosse offene Frage bleibt, ob solches künstliches Menschengewebe dereinst das Potenzial haben wird, zu einem Lebewesen heranzuwachsen. Die aus Mäusezellen gezüchteten synthetischen Embryonen sehen Berichten zufolge offenbar fast genauso aus wie natürliche Embryonen. Als sie jedoch in die Gebärmutter von weiblichen Mäusen eingepflanzt wurden, entwickelten sie sich nicht zu lebenden Tieren.

Im April war es Forschern in China gelungen, synthetische Embryonen aus Affenzellen in die Gebärmütter erwachsener Affen zu implantieren. Einige zeigten erste Anzeichen einer Schwangerschaft, die nach einigen Tagen aber alle abbrachen.

Die Wissenschaft scheint uneins darüber, ob das Hindernis lediglich technischer Natur ist und mit weiterer Forschung eines Tages überwunden werden kann – oder ob es eine grundsätzlichere biologische Ursache dafür gibt, dass Leben nicht im Reagenzglas erzeugt werden kann. (kes)

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