Bei einem Gipfel in Brüssel einigten sich die Staats- und Regierungschefs in der Nacht zum Freitag darauf, die Asyl- und Migrationspolitik deutlich zu verschärfen. Dabei geht es insbesondere um Abschreckung. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen versicherte: «Wir werden handeln, um unsere Aussengrenzen zu stärken und irreguläre Migration zu verhindern.» Länder wie Österreich und Italien feierten die Beschlüsse als grossen Erfolg.
Nach von der Leyens Angaben soll es zwei Pilotprojekte geben. So soll die Grenze zwischen Bulgarien und dem Nicht-EU-Land Türkei mit Fahrzeugen, Kameras, Strassen und Wachtürmen gesichert werden. Finanziert werden soll dies aus EU-Mitteln, dem bulgarischen Haushalt und Beiträgen anderer EU-Staaten.
Beim zweiten Projekt gehe es um die Registrierung von Migranten, ein schnelles Asylverfahren sowie Rückführungen an der Aussengrenze. Damit sollten schnellere Rückführungen möglich werden, sagte Österreichs Kanzler Karl Nehammer.
Politisch umstritten war beim Gipfel vor allem die Frage, ob künftig auch Zäune an den Aussengrenzen aus dem EU-Haushalt finanziert werden. Länder wie Österreich, Ungarn oder Griechenland fordern dies vehement. Die EU-Kommission, Deutschland und Luxemburg sind dagegen. In der Abschlusserklärung wird die EU-Finanzierung von Zäunen aber nicht genannt. Dort heisst es lediglich, dass EU-Mittel unter anderem für «Infrastruktur» an den Grenzen mobilisiert werden sollten.
Von der Leyen betonte, dass es an der bulgarisch-türkischen Grenze bereits einen Zaun gebe - aber nichts anderes. Dies funktioniere nicht. Die deutsche Politikerin lehnte eine EU-Finanzierung von Grenzzäunen stets ab. Wahrscheinlich ist nun, dass die Kommission künftig etwa Geld für Wachtürme bewilligen wird, für Zäune selbst aber nicht. Die EU-Staaten könnten das Geld dann einfach umschichten.
Einig sind sich die 27 Länder hingegen darin, dass mehr Druck auf Herkunftsstaaten gemacht werden soll, die bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber nicht kooperieren. Zudem wollen sie künftig Entscheidungen über Rückführungen gegenseitig anerkennen. Druck auf unkooperative Drittstaaten will die EU etwa über die Vergabe von Visa, die Handelspolitik und die Entwicklungshilfe machen. Zugleich sollen Möglichkeiten für legale Migration geschaffen werden.
Auf der Tagesordnung des Gipfels stand das Thema vor allem, weil die Zahl der Asylanträge 2022 im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent auf 924 000 gestiegen ist. Hinzu kamen rund 4 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, die kein Asyl beantragen müssen.
Italiens rechte Regierungschefin Giorgia Meloni sprach angesichts der Beschlüsse von einem «grossen Sieg» für ihr Land. «Der Europäische Rat hält erstmals Schwarz auf Weiss fest: Die Migration ist ein europäisches Problem und fordert europäische Antworten.» Österreichs Kanzler Nehammer sprach von einem «echten Durchbruch», Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen von einem «Wind der Veränderung».
Deutsche Politiker aus Regierungs- und Oppositionsparteien kritisierten die Beschlüsse. «Symbolhafte Massnahmen wie Grenzzäune sind keine ernstzunehmende Antwort», sagte der EU-Abgeordnete Rasmus Andresen (Grüne). Der FDP-Europaabgeordnete Jan-Christoph Oetjen nannte die Ergebnisse enttäuschend. Die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger (Linke) sieht eine «humanitäre Bankrotterklärung».
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sagte, notwendig seien sowohl Kontrollen an den Aussengrenzen als auch Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern. Die EU habe grossen Bedarf an Fachkräften, weshalb auch legale Migration notwendig sei.
Knackpunkt war lange die Frage, ob Schutzsuchende verpflichtend von allen EU-Staaten aufgenommen werden sollten. Länder wie Ungarn und Österreich lehnten Quoten kategorisch ab. Mittlerweile konzentriert sich die EU auf Themen wie stärkeren Aussengrenzschutz, bei denen es Gemeinsamkeiten gibt.
Dadurch ändert sich auch der Ton im Kreise der Staats- und Regierungschefs. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte nach dem Gipfel, die Stimmung sei sehr viel ruhiger gewesen als noch 2018. Ein EU-Beamter betonte, es gebe wieder mehr Vertrauen zueinander. Noch 2018 hätten Staats- und Regierungschefs sich angeschrien. «Die Stimmung hat sich geändert.»
(SDA)